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Luca's Rezepte

Luca's Rezepte

Titel: Luca's Rezepte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jobst Mahrenholz
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seine Befähigung - sehen - zu können und seinen großen Traum, Dinge abzubilden, um damit nach außen zu gehen, in die Welt hinaus. Und ich hörte ihm zu, mit schwerem Kopf und halbem Ohr zwar nur - denn ab und zu gingen meine Gedanken einfach auf Wanderschaft - doch ich verstand, was er mir sagen, was er mit klar machen wollte.
    »Weißt du, was ich glaube, Luca?«, sagte Ricardo zum Schluss der Nacht.
    Ich schüttelte mechanisch den Kopf und zog dabei an meiner Zigarette. »Ich glaube, dass du Lorenzo heute etwas ganz Wichtiges beigebracht hast. Du hast ihm gezeigt, dass man für seine Ideale eintreten muss, wenn man sie leben will. Auch wenn es noch so weh tut.«
    Später, als ich im Dunkeln neben Shiro auf dem Sofa lag und auf die Schatten der Sprossenfenster starrte, die sich blau an der gegenüberliegenden Wand abzeichneten, da dachte ich noch einen kurzen Moment an meinen Bruder.
    Und eines war mir nun klar.
    Ich hatte Matteos Aufforderung erfüllt.
    Ich hatte Lorenzo etwas getan - ich hatte ihn verlassen. Und das war gut so.
     
    Als ich am frühen Morgen auf dem Sofa erwachte, lag Shiro nicht mehr neben mir.
    Ich war alleine. Irgendwo brummte ein Kühlschrank, ansonsten war es still. Eine ganze Zeit lang lag ich nur so da, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und sah an die Decke. Es roch nach Farbe und Terpentin. In meinem Mund schmeckte es ganz ähnlich. Dass Shiro nicht da war, irritierte mich nicht besonders. Er brauchte morgens seine Zeit für sich. Wahrscheinlich erkundete er die Umgebung und versuchte, die letzte Nacht sortiert zu bekommen.
    Mein Blick fiel auf den dunklen Esstisch, der durch einen breiten Streifen Sonne in warmes Licht getaucht wurde.
    Ich stand auf, wartete, bis mein lädierter Kopf der Bewegung gefolgt war und sah mich um. Am Tag hatte der Raum eine ganz andere Wirkung. Zunächst einmal war er sehr hell. Die Wände waren aus gemauertem Stein, der einfach weiß übergetüncht worden war. Vereinzelt hingen großformatige Bilder davor, die mit dünnen Stahlseilen an der Decke befestigt waren. Mit Kunst hatte ich mich nie beschäftigt. Ich konnte nur sagen, ob mir etwas gefiel oder eben nicht, aber ich hatte keine Ahnung warum.
    Wenn die Bilder von Ricardo stammten, und dafür sprachen ja die Leinwände auf den Staffeleien, dann malte er nicht gegenständlich. Grobe Pinselstriche verdichteten sich zu Formen und Hintergründen, die es der Fantasie überließen, was man darin sehen wollte. Die Farben, die er verwendete, waren überwiegend erdig, selbst wenn er ein Blau, Grau oder Weiß verwendete.
    Ich schaute aus dem Fenster und sah unsere beiden Roller da stehen, wo wir sie in der Nacht abgestellt hatten. Gut so.
    Dann ließ ich meinen Blick wandern. Hinter dem Esstisch entdeckte ich, dass sich der Raum in einen weiteren, kleineren öffnete, die Küche. Sie war rundum bis zur Decke mit den gleichen Sprossenfenstern verglast wie der Wohnraum und erinnerte daher eher an ein Gewächshaus oder einen Wintergarten als an ein Zimmer. Eine wunderschöne Küche...
    Die Möbel schien Ricardo aus Baugerüsten montiert zu haben, auf denen er dann rundum Edelstahlplatten befestigt hatte. Darunter befanden sich Rollwagen aus transparentem Kunststoff und die Elektrogeräte. Überall standen Töpfe mit Kräutern und Gemüse, Schalen mit Obst und eine manuelle Espressomaschine aus Messing. Im Zentrum befand sich ein sechs-flammiger Smeg mit einem stattlichen Backofen. Ich kannte das Modell und wusste: Hier wird viel und gerne gekocht.
    Rechts von mir führte eine Sprossen-Tür in einen wild wuchernden Garten mit einer alten, von Flechten überzogenen Steinterrasse. Auch da stand ein großer, grober Holztisch, der über die Jahre grau verwittert war.
    Ich sah mich suchend um, fand Caffè und Milch im Kühlschrank und machte mich daran, so etwas wie ein Frühstück vorzubereiten.
    Mehl, Eier, Zucker und Butter - alles befand sich an logischen Plätzen. Fast jeder Griff war intuitiv ein Treffer.
    Ja, und dann fiel mir etwas auf.
    Etwas, das mich irritierte - warum war ich so gelassen?
    Nach dem gestrigen Abend müsste ich doch eigentlich am Boden zerstört sein. Aber nein, ich stand in einer wildfremden Küche, bereitete Pfannkuchen vor, kochte Caffè und fühlte mich, den Kopf mal beiseite gelassen, ganz gut. Da war weder Wut in mir noch Trauer. Ich war nicht mal so was wie verunsichert oder verwirrt. Vorsichtig tastete ich über den Schorf an meiner geschwollenen Oberlippe. Das alles war passiert,

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