Luca's Rezepte
Art. Ein lang gestreckter, gelb verputzter Bau mit schmalen, hohen Sprossenfenstern aus Eisen. Hinter dreien von ihnen brannte Licht. Ich hämmerte mit der Faust gegen ein grünes Stahltor - das stand als Instruktion auf Renzos Zettel, und kurz darauf wurde uns geöffnet.
»Kommt erst mal rein...«
Ricardo musste so Mitte dreißig sein, schätzte ich. Er war groß, sehr dünn und er hatte eine unglaubliche, blonde Lockenmähne. Sein Lächeln war freundlich. »Luca und Shiro?«
Wir nickten erledigt.
Er nahm uns unsere Taschen ab und ging voraus.
Wir folgten ihm in einen Raum, der mehr Halle als Zimmer war. Hier wurde anscheinend gelebt und gearbeitet. An den Wänden stapelten sich Leinwände und zwei hölzerne Staffeleien hielten Bilder, die vermutlich gerade in Arbeit waren. Linker Hand bildeten drei riesige Sofas ein U, das mit einem flachen Glastisch gefüllt war, an dem man sich sicher ständig den Knöchel stieß. Im hinteren Bereich erkannte ich einen gewaltigen Holztisch mit Stahlrohr-Stühlen darum. Gleich rechts, neben dem Eingang, brannte in einem massigen Ofen aus Gusseisen ein unruhiges Feuer.
Am ungewöhnlichsten aber waren die Lampen. Fünf wirklich große, alte Metallschirme hingen scheinbar wahllos im Raum verteilt an ewig langen Kabeln, die fast bis zum Boden reichten, so dass sich auf den breiten Holzdielen scharf umrissene Lichtkreise abzeichneten. Etwas ähnliches hatte ich bislang noch nie gesehen.
»Möchtet ihr Wein?«, fragte er, nachdem er unsere Taschen abgestellt hatte.
Wir nickten zugleich. Den brauchten wir jetzt wirklich.
»Steht auf dem Tisch. Und dir...«, wandte er sich mir zu, »...bringe ich erst mal was zum Desinfizieren.« Damit ging er in den hinteren Bereich und kehrte mit Alkohol, Watte und Sprühpflaster zurück.
Wir hatten uns auf eines der Sofas fallen lassen. Shiro begann, die bereitstehenden Gläser mit Rotwein aus einem gewaltigen Glasballon zu füllen. Alles hier schien groß zu sein.
Ricardo kniete sich vor mich, begutachtete meine Lippe und tupfte sie dann vorsichtig mit in Alkohol getränkter Watte ab. Es brannte höllisch, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.
»Sieht schlimmer aus als es ist.« Er klang zuversichtlich, während er meine geschlossenen Lippen mit dem blutstillenden Spray besprühte
Dann stand er auf, verschwand wieder einen Moment und kam mit einer großen Schüssel schwarzer Oliven, Brot und drei Tellern zurück, die er unpraktischerweise mittig auf dem Tisch platzierte.
»Lorenzo hat mir erzählt, was passiert ist.«, sagte er schließlich. »Ich hoffe, das ist in Ordnung für euch?«
»Solange wir dafür keine gescheuert bekommen, gar kein Problem.«, erwiderte ich, verwundert über meine Schlagfertigkeit. Ricardo lachte. »Nichts zu befürchten.«
Ich lehnte mich zurück in die weichen Polster und schloss für einen Moment die Augen. Alles war so vollkommen unwirklich, wie im Theater. Der ganze Abend hatte etwas Kulissenhaftes. Schon das Essen in unserer Küche, dann der unfassbare Auftritt meiner Eltern, der traurige Abschied von Lorenzo und jetzt dieses hier. Ich kam mir vor wie in einer Inszenierung, die eigentlich gar nichts mit mir zu tun hat. Und doch war ich eine der Hauptpersonen in diesem Stück. Schließlich sah ich zu Shiro, und ich hatte den Eindruck, dass es ihm ganz ähnlich ging. Er wirkte apathisch, ließ seinen Blick unruhig durch den fremden Raum wandern, aber er schien auch froh, irgendwo angekommen zu sein.
Wir redeten viel, diese Nacht. Gar nicht mal über das, was vorgefallen war, sondern über alles Mögliche. Über Musik, das Kochen, über die Kunst.
Ricardo war Maler, das war ja unschwer zu erraten. Es hatte ihn vor ein paar Jahren von Genova nach Ravenna verschlagen. Grund dafür war ein Unfall, der seinen Eltern das Leben gekostet hatte. Danach konnte er nicht mehr in Genova bleiben. Zu viel erinnerte ihn dort an sie.
Über die Kunst hatte er schließlich auch Lorenzo kennengelernt. Ich erfuhr, dass Renzo so gut wie jede Ausstellung, die in der näheren Umgebung stattfand, besuchte, begierig nach Eindrücken und nach Kunst.
»Du weißt nicht viel über deinen Bruder, oder?«, fragte er irgendwann zu weit vorgerückter Stunde. Die paar Zigaretten, die ich noch in meiner Jacke gefunden hatte, waren aufgeraucht und mein Kopf mittlerweile schwer vom Alkohol.
»Nein...«, gab ich offen zu. »...Wir sind sehr verschieden.«
»Hm, den Eindruck habe ich nach seinen Erzählungen gar nicht, ganz
Weitere Kostenlose Bücher