Luca's Rezepte
mich, einfach unvorstellbar. Shiro hatte es da leichter. Seit jeher hatte er sich nach Veränderung gesehnt und so fiel es ihm ganz leicht, sich vorzustellen, beispielsweise in Palermo zu leben. Warum nicht?
Für mich war die ganze Situation eher unwirklich, wie ein Spiel eben.
Den Rest des Tages verbrachten wir damit, für den Abend einzukaufen, das Menü vorzubereiten und uns auszuruhen. Tatsächlich merkten wir zum Nachmittag hin, wie kaputt wir eigentlich waren. Die ganze letzte Nacht hatte uns nicht nur emotional, sondern auch körperlich geschafft.
Aber immerhin, wir hatten uns auf eine Stadt geeinigt. Zumindest vorerst.
Roma sollte es werden. Wenn schon, denn schon. Es war auf der anderen Seite, weit weg von den Stränden Fanos. Und das erschien uns als richtig.
Für den Abend bereiteten wir als Hauptgang einen Brodetto vor.
Ich wusste, dass er nicht ganz perfekt gelingen konnte, da uns die Zeit fehlte, den Fond über Nacht ziehen zu lassen, aber ich war mir sicher, dass er auch so gut schmecken würde.
Ich kam auf den Eintopf, weil er sich einfach ideal für eine unbestimmte Anzahl von Personen eignete. Und weil er eine Spezialität unserer Region ist, sich aber kaum jemand die Mühe machte, diese Köstlichkeit aus Fisch und Meeresfrüchten herzustellen. Außerdem gab Ricardos geniale Küche alles her, was man für seine Zubereitung brauchte.
Vorneweg hatten wir einen leichten zitronigen Salat und Spaghetti al Olio vorgesehen, der Brodetto machte schon so genug Arbeit, und zum Abschluss dann einen einfachen Apfelkuchen.
Ein Menü, das gut zusammen passt. Und eines, das uns dermaßen beschäftigte, so dass wir nicht ins Grübeln kamen. Das war wichtig an diesem Tag.
Ich bereitete also den Brodetto zu, Shiro kümmerte sich um die Vorbereitung der anderen Gänge.
Es war das erste Mal überhaupt, dass wir zu zweit - und nur zu zweit - kochten, und es war ein ganz spezielles, schwer zu beschreibendes Gefühl. Wie so oft erkannte ich Zusammenhänge erst über die Küche.
Zwar war mir klar, wie unsere Situation aussah, doch erst bei diesem Kochen begriff ich sie auch.
Shiro arbeitete mit einer unglaublichen Ruhe. Er war ein lässiger, konzentrierter Koch. Der Teig des Apfelkuchens wanderte durch seine Hände, als hätte er nie etwas anderes gemacht.
Und als am Abend Ricardo mit drei Freunden nach Hause kam, war der Tisch gedeckt, der Wein gekühlt und Wasser in Karaffen abgefüllt.
Unser erstes gemeinsames Menü.
Bis auf Francesca gehörten Ricardos Freunde allesamt zur Künstlerszene Ravennas. Francesca war auch die einzige Frau in der Runde. Sie besaß einen Schmuckladen in der Altstadt und arbeitete nebenbei als Tauchlehrerin. Ihr tiefschwarzes Haar trug sie offen, und wenn sie sprach, schloss sie die Augen. Das gab ihren Worten etwas irritierend-entrücktes, fand ich.
Antonio Gosalli, der Älteste der drei, ein Galerist, so um die fünfzig schätzte ich, entpuppte sich als ein leidenschaftlicher Esser. Das sah man ihm auch an. Ich liebte es, Gäste seines Kalibers zu bekochen. Pit schließlich war Steinbildhauer und ganz entgegen zu seinem Namen ein Riese aus der Region Umbrien. Er hatte langes, braunes Haar, das in einen immensen Bart überging. Wenn er lachte, lachte man automatisch mit. Mich erinnerte er an Hagrid aus 'Harry Potter'.
Wie wir schnell merkten, war die Runde grob über uns informiert, denn binnen kürzester Zeit war unser 'Schicksal' Gesprächsthema.
»...Und wenn ihr versucht, noch einmal mit ihnen zu sprechen? Vielleicht hat sich mittlerweile alles etwas beruhigt.« Es war Pit, der das fragte. Es war ihm anzumerken, dass er sich tatsächlich Gedanken um uns machte. Ich schüttelte bedauernd mit dem Kopf.
»Ausgeschlossen. Mein Vater ist stur und meine Mutter tief religiös. Sie würden uns zusammen niemals akzeptieren.«
»Menschen können sich ändern...«
»Nicht die Beiden.«
»Die Regeln des Klerus sind da eindeutig...«, schaltete sich Francesca ein. »Wenn seine Mutter tatsächlich so verstrickt in ihren Glauben ist, wie Luca behauptet, dann kann sie im Grunde gar nicht anders, als sich von ihm abzugrenzen. So sind die Regeln. Altes Testament...«
Ich nickte traurig. So klar hatte ich es selbst noch nicht gesehen. Valentina konnte ja gar nicht anders.
»Spätestens, wenn die Gastronomie-Saison wieder anläuft, wird dein Vater seine bornierte Engstirnigkeit euch gegenüber verdammen.«, stellte Antonio leidenschaftlich fest und beäugte mit wachsendem
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