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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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Schein der Flammen wie ein zweites Feuer.
    Dann fiel mir Vals Geburtstagsgeschenk wieder ein, das Porträt mit dem Schatten und dann das Bild von mir, das Faye am Strand gemalt hatte. Unwillkürlich suchte ich die Wände ihres Zimmers nach weiteren Werken von ihr ab.
    »Ich hänge nur Finns Bilder auf«, erklärte Faye, die mir anzusehen schien, was ich dachte. »Mit ihnen bleibt zumindest ein Teil von ihm bei mir. Wenn meine eigenen Bilder fertig sind, bedeuten sie mir meist nicht mehr so viel. Mir geht es mehr um das Malen selbst. Um das, was man in einem Gesicht, an der Haltung oder in dem Wesen eines Menschen entdeckt, während man ihn zeichnet. Und um das, was man hinzufügt.« Faye lächelte wieder. »So wie bei Ambrose und Emily und deinem Urgroßvater.«
    Ich schnappte nach Luft. »Die Radierung war von dir? Aber wie . . . wann . . .?«
    Ich versuchte, die Radierung mit den Zeichnungen in Einklang zu bringen, die Faye von Val und mir gemacht hatte, aber es waren zwei völlig verschiedene Stile. Vals Porträt war mit Kohle gezeichnet, mit weichen, fließenden Strichen. Die Radierung, die ich auf Dads Schreibtisch gefunden hatte, war viel schärfer, akkurater. Jede Gesichtsregung, jedes winzige Fältchen war detailgetreu wiedergegeben.
    »Ich komme noch zu der Radierung«, sagte Faye. »Erst einmal hatten Finn und ich noch zehn glückliche Jahre miteinander. Immer seltener stellten wir uns die Frage, ob es vielleicht doch besser wäre, wenn ich wieder zu seiner Begleiterin wurde. Und irgendwann sprachen wir gar nicht mehr darüber. Wir achteten einfach nur darauf, zusammenzubleiben.«
    Faye legte zwei neue Holzscheite ins Feuer. Sie stocherte die Glut mit dem Feuerhaken auf, bis es im Kamin wieder zu prasseln und zu lodern begann. Im Zimmer war es warm, fast heiß geworden. Meine Wangen glühten und ich drehte mein Gesicht zum Fenster, durch das ein kühler Wind wehte.
    »Finn starb an der Grippe, als wir neunzehn waren«, sagte Faye. »Wir hatten das Fieber unterschätzt und dann ging plötzlich allesganz schnell. Seine Mutter litt zu dieser Zeit schon unter starkem Rheuma, also bat sie mich, den Arzt zu holen. Ich war hin- und hergerissen zwischen zwei Möglichkeiten: bei Finn zu bleiben und wieder seine Begleiterin zu werden, damit er nicht alleine starb – oder den Arzt zu seiner Rettung zu holen. Finn war es, der entschied. Er wollte den Arzt. Als ich zurückkam, war es zu spät. Er war tot.«
    Faye sah mich an, als wäre sie mehr um meine als um ihre eigene Fassung besorgt. Draußen war es stockdunkel geworden. Auch ich saß im Dunkeln, während sie vom Licht des Feuers angestrahlt wurde wie von einem Bühnenscheinwerfer.
    Ich krampfte meine Hände ineinander. »Weiter«, flüsterte ich.
    »Ich ging ein paar Jahre durch die Hölle«, sagte Faye. »Ich verließ Finns Mutter, ich zog durch die Gegend, stahl mir meinen Lebensunterhalt zusammen und traf schließlich andere wie mich, sie hatten dasselbe erlebt und konnten mir erklären, warum meine Selbstmordversuche nichts nutzten. Ich bin vom Dach eines Kirchturms gesprungen, ich habe mir ein Messer in die Brust gerammt, ich habe Gift genommen. Nichts half. Ich erfuhr, dass ich niemals sterben und niemals älter werden würde.«
    Ihr Gesicht war jetzt ganz ernst. »Unser Leben hängt an dem des Menschen, mit dem wir geboren wurden«, sagte sie. »Wenn wir in seiner Todesstunde als Begleiter bei ihm sind, gehen wir mit ihm –oder besser gesagt: geht unser Mensch mit uns. Stirbt unser Mensch jedoch allein, so bleiben wir zurück. Ab diesem Zeitpunkt hören wir auf zu altern. Wir bleiben für immer so alt wie unser Mensch bei seinem Tod. Die Verbindung zwischen ihm und uns bricht ab.«
    Wieder legte Faye ihre Hand auf die Brust. »Das innere Ziehen, das ich in den wenigen Momenten verspürte, in denen Finn und ich getrennt waren, kam nach seinem Tod nicht wieder. Stattdessen ist da jetzt so etwas wie ein Loch.«
    Faye stand auf. Sie ging zur Spüle, füllte ihr Glas und nahm ein zweites Glas aus dem Schrank. Diesmal streckte ich die Hand danach aus, als sie wieder zurückkam. Meine Kehle fühlte sich an wie ausgedörrt.
    »Knapp fünfundsiebzig Jahre später landete ich in London«, erzählte Faye weiter. »Ich hatte mir angewöhnt, mit meiner Staffelei auf die Straße zu gehen, um mir die Motive für meine Bilder zu suchen. Ich zeichnete gerade eine Fischmagd, als ein Mann auf mich zukam und mich fragte, ob ich Aufträge annehmen würde.«
    »Mein

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