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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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wieder, ganz langsam. Zum ersten Mal lag tiefes Mitleid in Fayes Blick. Ihr blasses Gesicht wurde ganz weich. Es tat weh, sie anzusehen. Alles tat mir plötzlich weh.
    »Nein«, sagte Faye. »Weder Morton noch ich wissen, wo er ist. Das war einer der Gründe, warum ich dir nicht schon neulich am Strand alles erklärt habe. Du warst so mitgenommen, ich hatte Angst, dass du es nicht verkraften würdest.«
    Einer der Gründe? »Das ist nicht wahr, oder?« Meine Stimme wartonlos geworden. Wie hatte sie einfach zusehen können, was ich durchmachte? Diese Ungewissheit war es doch gewesen, die mich hatte durchdrehen lassen.
    »Es tut mir leid«, sagte sie schlicht. Sie meinte es so, aber in dem Moment verstand ich, dass ihre Freundschaft zu Morton Tyger viel weiter ging, als ich mir jemals hätte vorstellen können.
    Sie sah auf ihre Hände herunter und legte sie gegeneinander.
    »Nachdem Lucian verschwunden war, hat Morton begriffen, wie grausam er gehandelt hat«, nahm sie den Faden wieder auf. »Ab da trieb ihn das schlechte Gewissen. Er fing an, nach Lucian zu suchen, mit allen Mitteln, aber er fand ihn nicht. Also bat er mich, auf dich Acht zu geben, bis wir eine Spur hätten. Und so hab ich mich bei deinen Eltern als Kindermädchen für Val beworben.«
    Fayes Gesicht wurde wieder weich. »Ich mag sie sehr. Es ist mir nicht schwergefallen, auf sie aufzupassen. Und gleichzeitig war ich immer in deiner Nähe.«
    »Außer in der Klinik«, sagte ich.
    Faye schüttelte den Kopf. »Du hast es nicht mitbekommen, aber ich war da. Ich hatte erfahren, dass es dir besser ging.« Fay musterte mich forschend. »Du weißt, woran das lag, oder?«
    Ich runzelte die Stirn. »Ja«, sagte ich. »Nein.« Ich schwieg verwirrt. »Sie haben mir etwas gegeben und ab da wurde es leichter.«
    Faye lachte und schüttelte den Kopf.
    »In der Nacht, als ich für Finn den Arzt holte«, wechselte sie plötzlich das Thema, »musste ich eine ziemliche Strecke zurücklegen. Ich nahm das Pferd, ich trieb es wie verrückt durch die Nacht, um so schnell wie möglich zurück zu sein. Mit jeder Meile, die ich mich von Finn entfernte, wurde das Ziehen in meiner Brust stärker. Aber diese Entfernung war geradezu ein Katzensprung im Vergleich zu dem, was euch getrennt hat. Du hast den Boden verlassen, Rebecca. Duhast dich innerhalb von wenigen Stunden Tausende von Meilen von Lucian entfernt.« In Fayes Augen las ich echtes Entsetzen. »Ich kann mir nicht annähernd vorstellen, durch welche Hölle du gegangen sein musst«, sagte sie sanft. »Aber eines weiß ich. Was dir die Schmerzen genommen hat, waren nicht die Medikamente.«
    Ich spürte, wie ein Kribbeln mein Rückrat emporkroch. Es wurde zu einem Zittern, das sich in meinen Schultern, in meinem Nacken und schließlich in meinem ganzen Kopf ausbreitete. »Du meinst . . . dass er hier ist?«, wisperte ich.
    Faye nickte. »Daran gibt es keinen Zweifel«, sagte sie. »Lucian muss hier sein, irgendwo in deiner Nähe. Nur das erklärt, warum die Schmerzen in deiner Brust nachgelassen haben. Deshalb ist auch Morton hergereist. Er wollte es dir sagen. Vielleicht ist das sogar die einzige Chance für ihn, seinen Fehler wiedergutzumachen.«
    Ich schüttelte den Kopf, Tygers Chancen waren mir in diesem Moment so egal wie nur irgendwas. Alles war mir egal bis auf das eine.
    Und dennoch: »Er kann nicht hier sein«, sagte ich hilflos und versuchte mich an die Realität zu halten oder an das, was ich seit siebzehn Jahren für die Realität hielt. »Lucian hat keinen Pass«, stammelte ich. »Er hat keine Handlinien, keine Fingerabdrücke. Wie sollte er . . .«
    Faye fegte meine Bedenken mit einer einzigen Handbewegung beiseite.
    »Und warum . . .« Mein Gehirn schob den Hoffnungsfunken beharrlich von sich. »Warum sollte Lucian mir folgen, nachdem er selbst dafür gesorgt hat, dass ich verbannt werde? Er hatte niemand , der ihn aufklärte.«
    Jetzt dachte ich doch an Tyger, an das, was er all die Monate zurückgehalten hatte, und die Wut auf ihn brodelte in mir. Zum Teufel mit seiner beschissenen Chance!
    »Rebecca, hör mir bitte zu«, Faye sah mich eindringlich an. »Was du gefühlt hast, hat Lucian auch gefühlt. Verstehst du das? Diese entsetzlichen Schmerzen allein wären Grund genug gewesen, dir zu folgen. Aber das war es nicht.« Faye holte Luft. »Als ich ein Mensch wurde«, sagte sie, »liebten Finn und ich einander wie Geschwister. Ambrose und Morton liebten sich wie beste Freunde. Aber die Liebe zwischen

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