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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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Aber ein Ritter ist die nicht. Die ist ein Spielverderber.« Meine kleine Schwester streckte mir die Zunge raus.
    »Danke, Faye«, sagte Michelle. »Ich übernehme das Aufräumkommando. Val sieht dich dann Montag?« Sie zwickte Val in die Nase.
    »Sag Tschüss, Mäuschen.«
    »Tschüss, Blödi«, sagte Val. Sie löste sich aus Michelles Arm und lief aus dem Zimmer.
    Als jetzt auch Faye auf die Tür zuging, wurde ich panisch. Doch dann drehte sie sich um und wandte sich an Michelle. »Meine Mutter hat gefragt, ob ich Rebecca heute zum Abendessen einladen darf.« Sie lachte. »Sie wollte Arme Ritter machen, es ist das einzige deutsche Gericht, das sie kennt. Ich habe ihr versprochen, sie nicht zu enttäuschen.« Sie sah von meiner Stiefmutter zu mir. »Was meinst du? Erträgst du eine Kostprobe? Meine Mutter würde sich wirklich riesig freuen.«
    Ich musste mir Mühe geben, nicht gleich hinter ihr herzustürmen. Krampfhaft bemühte ich mich um ein gleichgültiges Schulterzucken und sah fragend zu Michelle. Die zuckte ebenfalls die Schultern. »Na klar«, sagte sie und war schon mit dem Aufräumen beschäftigt. »Ruf an, wenn du abgeholt werden willst«, rief sie mir noch zu.
    Faye lächelte mich an. »Komm«, sagte sie. »Ich bring dich zu mir.«

DREISSIG
    Als ich in Vals Alter war, hatte ich einmal versucht, einen Tischtennisball in einem Topf mit Wasser zu versenken. Zunächst erstaunt und dann immer zorniger hatte ich ihn heruntergedrückt, nur um festzustellen, dass das kleine Ding immer wieder in einer erstaunlichen Geschwindigkeit an die Wasseroberfläche zurückschoss. Spatz hatte mir damals lächelnd erklärt, dass es an der Beschaffenheit, der Dichte und der Schwere des Materials lag, doch ich hatte nicht begriffen, was sie meinte.
    Als ich zu Faye in den Bentley stieg und wir die Küste entlang nach Venice fuhren, hatte ich dieses Bild plötzlich im Kopf. Ich war der Topf mit Wasser und die an die Oberfläche schießenden Plastikbälle waren meine Fragen an Faye.
    Woher kennst du Tyger? Was weißt du über mich? Was ist deine Geschichte? Bist auch du eine Begleiterin, die es nicht geschafft hat? Wer war dein Mensch? Wie alt bist du?
    Die einzige Frage, die schwer wie ein Stein am Grund blieb, war die nach Lucian. Es war, als ob ich fühlte, dass ich auf diese Frage keine Antwort bekommen würde. Und davor wollte ich mich schützen.
    Faye wohnte nicht in Venice Beach, sondern bei den Kanälen, von denen sie mir am Dienstag erzählt hatte. Als ich hinter ihr über die winzige, weiß gestrichene Brücke lief, deren Holzbohlen unter unseren Schritten knarrten, merkte ich, wie sehr dieser Ort zu ihr passte. Er hatte etwas Weltfremdes, Verträumtes, genau wie sie. Die kleinenHäuser waren mit Efeu bewachsen, überall wuchsen Blumen. Die Gärten schmiegten sich dicht ans Wasser und am Ufer dümpelten ein paar Boote. Die Oberfläche des Wassers kräuselte sich wie ein großes, stilles Stirnrunzeln. Die Luft roch süß, fast ein wenig drückend, obwohl es kühl war.
    In dem hellgrauen Häuschen mit dem Giebeldach, das ich jetzt hinter Faye betrat, schien niemand zu leben außer ihr. Der Raum mit den hohen Decken und den Dachschrägen war Küche, Wohn- und Schlafzimmer in einem. Die alten Möbel, den kleinen Kamin, das ungemachte Bett und die herumliegenden Kleider streifte ich nur mit einem flüchtigen Blick. Meine Aufmerksamkeit wurde von den Bildern angezogen. Die Wände waren voll von ihnen. Feuer speiende Drachen, vielköpfige Schlangen, Riesenschildkröten, auf denen Zwerge ritten, Einhörner, Nixen, Goblins, Gnome, feixende Kobolde. Und Feen. Lauter Feen. Alle hatten Fayes Gesicht.
    »Finn konnte malen, ehe er sprechen oder laufen konnte«, sagte Faye. Sie goss sich ein Glas Leitungswasser ein, trank in kleinen ruckartigen Schlucken wie ein durstiger Vogel und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
    Mir war sofort klar, von wem sie sprach. »Finn war dein Mensch«, sagte ich leise.
    Faye nickte. Sie streifte sich die Sandalen von den Füßen und setzte sich auf eins der Kissen am Boden. Es war das einzige, auf dem keine Klamotten lagen. Mir bot sie keinen Platz an, und als ich ein paar Sekunden unschlüssig herumgestanden hatte, nahm ich die Kleider von einem der anderen Kissen und setzte mich zu ihr.
    »Schon als Dreijähriger hat Finn seine ersten Fabeltiere gemalt«, sagte Faye. »Erst waren es Drachen, dann einäugige Riesen, später kamen Nixen, Feen und Elfen. Keine Ahnung, woher er die Fantasie nahm.

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