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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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Lucian und dir geht tiefer und eure Sehnsucht deshalb auch. Habe ich recht?«
    Ich konnte nicht einmal nicken. Mein Kopf gab auf und in meiner Brust stieg plötzlich wieder die Erinnerung an diese furchtbaren Schmerzen auf, die noch immer nicht völlig nachgelassen hatten. Sehnsucht war ein seltsames Wort, aber es war so treffend. Wie jede andere Sucht ließ sie sich mit Willenskraft beherrschen, aber heilen konnte man sie nie.
    Ich vermisste Lucian so unaussprechlich.
    Hilflos sah ich in Fayes zartes blasses Gesicht.
    »Jetzt kommt es auf dich an, Rebecca«, flüsterte sie. »Du kannst Lucian finden. Du musst es nur wollen, denn das . . . ist eure letzte Chance.«

EINUNDDREISSIG
    Zu Hause wartete Dad auf mich. Er saß im Wohnzimmer und las Zeitung. Im Fernsehen lief eine Reportage über Barack Obama, Michelle und Val schliefen scheinbar schon.
    »Hattest du eine gute Zeit?«, fragte Dad. »Wie waren die Armen Ritter?« Er strahlte mich an, im ersten Moment wusste ich gar nicht, was er meinte, dann murmelte ich nur, sie hätten lecker geschmeckt und jetzt sei ich müde.
    Das war um halb elf. Es wurde halb zwölf, halb eins, halb zwei. Um zwei tigerte ich immer noch durch mein Zimmer und zermarterte mir den Kopf. Immer wieder spielte ich die Vorstellung durch, dass Lucian mich suchte. Es war der einzige Strohhalm im Meer der Möglichkeiten, an den ich mich klammern konnte. Was wäre, wenn Lucian begriffen hätte, wer er wirklich war? Was wäre, wenn er wirklich hier war, um nach mir zu suchen?
    Aber wo? Ich stöhnte auf.
    Es gab keinen Anhaltspunkt. Ich hatte ihm nicht erzählt, in welcher Stadt mein Vater lebte, er kannte die Adresse nicht. Er kannte nicht mal Dads Vor- oder Nachnamen. Dad hieß nicht Wolff, wie Janne und ich, sondern Reed.
    Und Lucian würde wohl kaum jemanden nach der Adresse meines Vaters gefragt haben. Dass sein großzügiger Gastgeber aus Hamburg mich kannte, konnte er nicht ahnen, und dass Suse auf meiner Seite war, hatte er höchstens am Rande mitbekommen. Außerdem hatte Suse mir gemailt, dass sie ihn nicht gefunden hatte. Und Janne wäredie Letzte, die Lucian nach dieser Nacht noch einmal aufgesucht hätte, so viel war mir klar.
    Fieberhaft durchforstete ich mein Gehirn nach weiteren Hinweisen.
    Was wusste er von mir? Hatte ich irgendwelche Namen genannt, die ihm weiterhelfen konnten? Mir fielen keine ein. Oder doch: Ich hatte Michelle erwähnt. In einem Anflug von Euphorie googelte ich ihren Namen. Die Zahl der Aufrufe war wie ein Schlag ins Gesicht. 220.000.000 Ergebnisse für Michelle, die prominentesten zielten auf Barack Obamas Ehefrau ab.
    Scheiße! Denk nach, Rebecca, denk nach! Hatte ich über Dads Beruf gesprochen? Nein. Über den Beruf von Michelle? Bestimmt nicht.
    Ich schaltete den Computer aus und fing wieder an, durch mein Zimmer zu laufen. Bett, Schreibtisch, Fenster, Tür. Bett, Schreibtisch, Fenster, Tür. Ankleidezimmer. Ich wanderte die Regalfächer ab, zog Schubladen auf, als ob sich die Antwort auf meine Frage zwischen Socken und Unterhosen versteckt hatte. Irgendwann sah ich sogar in meinem Koffer nach.
    Fuck! Ich schlug mit der Faust gegen die Wand. Ich hatte das Gefühl, dass ich etwas übersah, irgendetwas nagte in mir, ich musste mich nur erinnern. Doch woran?
    Plötzlich bekam ich eine Vorstellung davon, was Lucian durchgemacht haben musste. Alles, was er gehabt hatte, alles, was er höchstwahrscheinlich immer noch hatte, waren die Bruchstücke seiner Träume.
    Ich blieb stehen. Das war es! Ich lief zu meiner Nachttischschublade und zog das Bild heraus, das Faye von mir in Venice Beach gezeichnet hatte. Lucians Traum vom Strand. Er würde mit Sicherheit vermuten, dass Janne mich zu meinem Dad nach Kalifornien geschickt hatte, das war naheliegend. Und deshalb würde er hier am Strand suchen – genau wie ich!
    Ich stürzte zum Telefon, wählte Fayes Handynummer, sprudelte heraus, wie dumm wir gewesen waren – bis mich Faye mit verschlafener Stimme unterbrach.
    »Allein Los Angeles hat über hundert Kilometer Strand«, sagte sie, nachdem ich ihr die Details aus Lucians Traum noch einmal umrissen hatte. »Mal ganz zu schweigen von dem Rest des Bundesstaates. An allen Stränden ist jede Menge los. Volleyballspieler und Surfer siehst du überall. Selbst wenn Lucian versucht, dich am Strand zu finden, wäre das wie die Stecknadel im Heuhaufen suchen.«
    »Aber Tyger hat Lucian in Hamburg doch auch . . .«
    »In Hamburg ist Lucian zum Menschen geworden«, unterbrach

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