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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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Schultern gezuckt. Dann hatte er mich gefragt, wo ich gewesen sei.
    »Ich bin einfach abgehauen«, hatte ich dem Officer zur Antwort gegeben, und nachdem Dad noch einmal verzweifelt Lucians Aussehen geschildert hatte – dünn, blass, scharfe Züge, schwarze Haare, schwarze Augen, irrer Blick –, war der Officer gegangen.
    Michelle hatte sich, nachdem Faye nicht mehr aufgetaucht war, mit Val ins Kinderzimmer zurückgezogen und ich versuchte, ein letztes Mal mit Dad zu reden. Was wäre, wenn Lucian nicht mein Mörder, sondern mein einzig möglicher Retter wäre? Was wäre, wenn ichmich in Lebensgefahr befände, weil uns niemand glauben wollte? Was wäre, wenn ich sterben müsste, weil man uns trennte?
    Dads Gesichtsausdruck wurde mit jeder Frage weicher, bis ich begriff, dass er glaubte, ich hätte den Verstand verloren. Dann sah er auf die Uhr und sagte, dass der Flieger meiner Mutter vor einer Stunde gelandet wäre.
    Als ich diese Worte hörte, gab ich auf.
    Dass Janne unter diesen Umständen mit sich reden lassen würde, konnte ich mir nicht mal im Traum einbilden. Und den Verstand verloren hatte ich einzig in dem Moment, in dem ich mir vorgemacht hatte, die ganze Sache erklären zu können.
    Dad hatte mir nicht geglaubt. Und Janne würde es erst recht nicht tun. Selbst wenn ihr vielleicht klar werden würde, dass Lucian übersinnliche Fähigkeiten hatte – die Sache mit dem Engel würde sie mir niemals abnehmen.
    Er ist mein Engel. Wenn ich ihn verliere, sterbe ich.
    Warum klangen Worte, die zum Klischee verkommen waren, immer so verdammt unglaubwürdig? Noch nie hatte ich mir darüber Gedanken gemacht.
    Selbst wenn Tyger – wo immer er sich jetzt aufhielt – versuchen würde, sich einzuschalten – meine Psychologenmutter würde ihn einfach für verrückt erklären – genau wie mich.
    Mit dem einzigen Unterschied, dass ich mich nicht unsichtbar machen konnte.
    »Ich möchte bitte in mein Zimmer«, sagte ich.
    Dad sah mich traurig an. »Ich halte es für besser, wenn du hier bei mir bleibst, bis Janne da ist.«
    »Du kannst ja hinter mir abschließen.«
    Ich ging ruhig voraus. Mein Vater folgte mir. Ich schwieg, selbst, als er sich an mir vorbei ins Zimmer schob, einen Blick in den Ankleideraumwarf, dann das angrenzende Bad und schließlich sogar noch den Spalt unter dem Bett inspizierte.
    Einen Moment später hörte ich, wie der Schlüssel von außen umgedreht wurde.
    Dad hatte sehr gründlich unter dem Bett nachgeschaut. Wer auf dem Bett saß, hatte er nicht gesehen.
    Lucian und Faye hockten im Schneidersitz auf der Decke. Sie warteten auf mich.
    Schweigend schaute ich sie an und in diesem Moment wurde mir zum allerersten Mal bewusst, wie anders sie waren.
    Ich hatte Tyger, Faye, Lucian bis jetzt immer nur allein gesehen. Doch nun begriff ich, dass Lucian und Faye etwas verband, das ich nicht kannte, das ich niemals erlebt hatte und das ich niemals wirklich verstehen würde.
    Auch wenn Lucian in den letzten beiden Tagen und Nächten so menschlich, so wirklich gewesen war, so sehr Haut und Fleisch und Blut und Mund und Herz, er war nicht wie ich. Er war wie Faye. Das hatte er heute Morgen gemeint. Er gehörte wie Faye zu einer anderen Wirklichkeit, von der ich nie ein Teil sein würde.
    »Was tun wir jetzt?«, brach ich schließlich flüsternd die Stille.
    Faye und Lucian sahen sich an.
    »Zusammenbleiben«, sagte Faye. »Egal wo. Egal wie . . . bis es geschieht.«
    Ich schluckte. Aber diesmal widersprach ich nicht und diesmal hatte ich keinen Plan, keine Lösung, keine Idee. Mein Repertoire war ausgeschöpft.
    »Was schlägst du vor?«, fragte ich Lucian.
    Er starrte auf seine geöffneten Hände, als könnte er die Antwort dort ablesen. »Wir versuchen, den Raum zu finden«, sagte er. »Dann wären wir wenigstens da. Dann wüssten wir, wo es uns erwartet.«
    Zögernd wandte er mir sein Gesicht zu. Mein Herz fing an zu rasen, als hätte Lucian gerade vorgeschlagen, die Klippe zu suchen, von der wir uns in die Tiefe stürzen würden. Es klang wie die Vorbereitung zu einem Selbstmord. Aber gleichzeitig wusste ich, dass es einen Sinn ergab. Noch war meine Mutter nicht hier. Noch hatten wir eine Chance, zusammen zu überleben. Oder zusammen zu sterben.
    Ich ging zum Fenster. Es führte zum westlichen Teil des Grundstückes hinaus. Draußen dämmerte es bereits. Das Meer war ein silberner Streifen und der Garten unter uns war ganz still. Ich blickte an dem Baum vor meinem Fenster vorbei auf die Büsche, die den

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