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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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schwarze Wasser schäumte vor meinen Augen, schillernde Tropfen stoben wie Silberperlen in die Luft und ich fühlte mich schwerelos, ich schwamm ohne Anstrengung, es war wie ein Gleiten, losgelöst von meinen eigenen Bewegungen. Ich war allein, aber gleichzeitig war jemand bei mir, den ich nicht sehen konnte, jemand, der an meiner Seite durch den See glitt. Über meinem Kopf rauschte der Wind und dann fing es an zu regnen. Die ersten Tropfen fielen zögernd und schwerfällig, bis schließlich das ganze Wasser in Bewegung war. Ich fühlte Wasser überall, es hüllte mich ein mit immer lauteren Trommelschlägen und immer noch hatte ich dieses wunderbare Gefühl, dass jemand an meiner Seite war, bis ich von dem Geräusch des Regens wach wurde.
    Langsam, wie durch Wasser, wurde mir bewusst, dass ich in meinem Bett lag. Der Regen kam von draußen und ich war allein.
    Ich fühlte es in einer seltsamen, beängstigenden Deutlichkeit, die mich erschreckte. Ich schlug die Decke zurück und schlich durch das stille Haus.
    Auf dem Dachboden schimmerte noch Licht. Ich stieg die Wendeltreppe hinauf und öffnete vorsichtig die Tür.
    Spatz saß auf dem Tagesbett des Dachbodens und lächelte, als sie mich sah. »Fertig«, sagte sie und hielt mir das schimmernde Etwas vor die Nase, das sie gerade vollendet hatte. »Mein erster Sponglia beatificae. Was sagst du?«
    Vorsichtig nahm ich das zarte Schwammkörperchen in die Hand. Es glänzte goldfarben und war von zahlreichen Häkellöchern durchsetzt. Wie Poren sahen sie aus, durchlässig für Luft oder Wasser. Es kam mir vor, als ob der kleine Schwamm, der sich in meine Handfläche schmiegte, tatsächlich ein atmendes Lebewesen sei.
    »Er ist wunderschön«, murmelte ich.
    »Ich hab mir eine Geschichte dazu ausgedacht«, sagte Spatz. »Willst du sie hören?« Ohne meine Antwort abzuwarten, zog sie ein zerknittertes Papier aus ihrer Rocktasche, faltete es auf und las mir die geschriebenen Zeilen vor.
    »Schon lange ist bekannt, dass die Unterwasserwelt großes Potenzial birgt. Insbesondere die Gattung der Schwämme ist hier von symbolhafter Bedeutung. Schwämme sind Meister der toxischen Abwehr und ihr genetischer Code weist große Ähnlichkeit zu dem des Menschen auf. Von sechzigtausend vermuteten Schwammarten sind Meeresbiologen bislang etwa fünftausend bekannt. Erst kürzlich wurde ein Fund ecceptionel gemacht: der Sponglia beatificae, der gemeine Glücksschwamm.«
    Ich musste lachen. Spatz’ Stimme flatterte wie ein Schmetterling, der gerade auf Nektar gestoßen war.
    »Im Unterschied zu seinen Artgenossen«, las sie weiter, »besitzt der Sponglia beatificae Sensoren, die ihn glücksverdächtige Momente und Orte aufspüren lassen. In magischer Geschwindigkeit und auf noch völlig ungeklärte Weise dockt er genau dort an und fördert die Wachheit der beteiligten Personen für die jeweilige Glückssituation. Seine chemische Abwehr hat sich außerdem auf angstvolle und destruktive Gedanken spezialisiert, sodass diese in der unmittelbaren Nähe des Glücksschwamms keine Überlebenschance haben.«
    Spatz ließ den Zettel sinken. Sie sah aus, als ob der Glücksschwamm sie als erstes Wirtstier erkoren hätte.
    »Es ist erst ein Entwurf, ich muss noch daran arbeiten«, sagte sie. »Was denkst du?«
    »Ich denke, das könnte eine ziemliche Marktlücke sein«, sagte ich lächelnd. »Kann man mit den Schwämmen auch Töpfe sauber machen? Dann hätten sie neben ihrem ideellen noch einen praktischen Nutzen. So was mögen die Deutschen.«
    Spatz schnitt eine Grimasse. »Okay, so viel zur Eliminierung von destruktiven Gedanken.« Sie beugte sich zärtlich über das Gebilde. »Schätzchen, das üben wir noch ein bisschen«, sagte sie zu dem Schwamm.
    Ich kicherte. »Wie ich dich kenne, wirst du es ihm in null Komma nichts beigebracht haben.«
    Spatz streckte sich und gähnte. »Vielleicht klappt es diesmal mit der Ausstellung«, sagte sie hoffnungsvoll. »Im Theater habe ich gehört, dass ein Künstleratelier in St. Georg noch einen Untermieter sucht. Ich versuch mich gleich morgen darum zu kümmern.«
    »Das wäre wirklich klasse.« Ich strich mit den Fingerspitzen noch einmal über die goldene Oberfläche des Schwämmchens, ehe ich es zurück in ihre Hände rollen ließ. Spatz war seit Jahren auf der Suche nach einem günstigen Atelier, in dem sie ihre Werke unterbringen und ausstellen konnte. »Ich wünsch dir Glück«, sagte ich.
    Im Vogelbauer war John Boy auf die Schaukel gehüpft.

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