Luciano
über
das Tal schweifte. Nach einer Weile öffnete sich eine kleine Luke,
und ein bärti ger junger Mönch schaute heraus. Er sprach kein
Wort, die Luke wurde wieder geschlossen. Kurz darauf schwang das Tor
knarrend auf, und Barbera ritt in den Klosterhof.
Padre Giovanni, der Prior, war ein
hochgewachsener, ge brechlicher alter Mann von siebzig Jahren und trug
einen Voll bart wie alle Mönche des Klosters, nur daß der
seine schloh weiß war, wenn man von den Nikotinflecken um den
Mund absah. Auf seinem Kopf saß eine braune Baskenmütze, von
der Kordel, die den schlichten braunen Habit gürtete, hing ein gro
ßes Kruzifix. Das Gesicht war kräftig, fest, gut
geschnitten, die Augen verrieten Klugheit und Humor.
Die roten Ziegeldächer der
Klostergebäude zogen sich wie riesige unregelmäßige
Stufen bis zum höchsten Punkt der Wäl le, wo Padre Giovanni
seine Tauben hielt, die große Liebe sei nes Lebens. Auch jetzt
war er mit ihnen beschäftigt, als Paolo, ein junger Klosterbruder,
Vito Barbera zu ihm führte. »Ah, Vito«, sagte der alte
Prior. »Das ist aber eine Freude.« Barbera zog die
Mütze und küßte die ihm dargereichte Hand – nicht
nur aus frommer Ehrfurcht, denn Padre Giovannis Verbindungen zur Mafia
waren allgemein bekannt. Mori, Mussolinis berüch tigter
Polizeichef, hatte viel Zeit auf den Versuch verschwen det, diese
Tatsache zu beweisen. Es war ihm sogar gelungen, Giovanni vor Gericht
zu bringen, doch die Verhandlung war zur Farce entartet, und am Ende
hatten die Geschworenen Pa dre Giovanni und andere Mitglieder seines
Ordens keinerlei Vergehen für schuldig befunden, nicht einmal des
verbotenen Taubenfütterns im Park.
Der Prior nahm sich aus der Blechdose
auf der Mauerbrü stung eine Zigarette. »Wie steht's im
Dorf?«
»Schlecht«, sagte
Barbera. »Dieser Mann von der Gestapo, dieser Meyer, und seine
Russen …« Er schüttelte den Kopf.
»Und der andere, dieser Oberst Koenig?«
»Ein guter Mensch in der falschen
Uniform.« Barbera zuckte die Achseln. »Der reine Tor,
Padre. Er glaubt, man könne sich im Krieg noch immer an die Regeln
halten.«
»Aha.« Der Greis nickte. »Und was kann ich für euch tun?«
»Ich habe eine Botschaft für Don Antonio.«
Der Alte lächelte. »Mein lieber Vito, wer weiß denn, wo Don Antonio sich aufhält.«
Barbera trat an den Taubenkäfig,
kratzte am Gitter und gurr te den Vögeln zu. »Da drinnen hat
er doch bestimmt ein paar Freunde, die ihn finden könnten und
nicht einmal sehr weit fliegen müßten.«
Padre Giovanni setzte sich in den
alten Korbsessel neben der niedrigen Mauerbrüstung. »Vito,
wenn die Botschaft von dei nen Freunden in Algerien kommt, wenn die
Sache etwas mit der Mafia und der amerikanischen Invasion zu tun hat,
dann kann ich nur sagen, du verschwendest deine Zeit. Nach den
Deutschen gilt Don Antonios Haß allem, was amerikanisch ist.
Nein, in diesem Fall bleibt er in seinen Bergen. Damit will er nichts
zu tun haben.«
»Aber jetzt hat sich etwas
Neues ergeben, Padre«, erklärte Barbera. »Don Antonios
Enkelin kommt hierher, Maria.«
Der alte Mann blickte auf, Erstaunen
malte sich auf seinen Zügen. »Du meinst, sie kommt nach
Cammarata? Wie sollte das zugehen?«
»Ich habe eine Funkmeldung bekommen. Carter wird schon in allernächster Zeit eintreffen.«
Padre Giovanni drückte zornig
seine Zigarette aus. »Dieser Narr. Schon als er das letztemal
hier war, habe ich ihm gesagt, jetzt reicht's. Der Mann sucht geradezu
den Tod. Aber sag mir noch mehr über Maria. Carter bringt sie mit,
ja? Er hofft, daß sie auf Don Antonio einen Einfluß hat wie
niemand sonst.« Er zuckte die Achseln. »Ich bin keineswegs
überzeugt, daß das stimmt.«
Barbera sagte: »Das ist noch längst nicht alles, Padre. Lucia no kommt auch mit.«
Der alte Mann starrte ihn entgeistert
an. »Lucania?« flüsterte er. Lucania war Lucianos
sizilianischer Name. »Salvatore Lucania kommt hierher? Aber er
ist doch im Gefängnis?« Dann dämmerte ihm die Wahrheit.
»Ach, jetzt verstehe ich – die ganze Strategie. Luciano und
die Enkelin des alten Don Antonio. Carter muß glauben, nun habe
er gewonnenes Spiel.«
»Und Sie, Padre? Was ist Ihre Meinung?«
»Wie könnte sie im
geringsten von Bedeutung sein? Ich will zusehen, daß einer meiner
kleinen gefiederten Freunde« – er pochte an den
Taubenschlag – »Don Antonio die Nachricht überbringt.
Er wird tun, was er für richtig hält. Wann
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