Lucy - Besuch aus fernen Welten (Band 1) (German Edition)
sie genau dort suchen könnte. Und wenn sie etwas gar nicht wollte, dann war es, gerade dort mit ihm allein zu sein.
Weil ihr nichts anderes einfiel, ging sie in die Cafeteria oder wie immer man diesen Aufenthaltsraum nennen sollte. Sie holte sich einen Saft und hatte eigentlich vor, sich allein an einen Tisch zu setzen und die anwesenden Aranaer zu beobachten. Erst als sie sich einen Tisch suchen wollte, stellte sie fest, dass alle Tische besetzt waren. Nun, mit ihrem Glas in der Hand war es natürlich zu peinlich, einfach zu gehen. Also musste sie sich wohl oder übel an einen der schon besetzten Tische setzen. Sie ging zu einem Tisch, an dem nur eine einzelne aranaische Frau saß. Eigentlich war sie fast noch ein Mädchen. Sie konnte jedenfalls nicht viele Jahre älter sein als Lucy selbst.
Höflich fragte Lucy sie, ob sie sich zu ihr setzen dürfe. Wie sie nicht anders erwartet hatte, lud das aranaische Mädchen sie ein, sich zu ihr zu setzen. Sie sah sie dabei mit dem üblichen höflichen, aber kalten Lächeln an. Das Mädchen setze sich auch auf einen der Stühle, die fest rund um den Tisch herum angebracht waren. Erst jetzt wurde Lucy bewusst, dass sie vorher in dem Zwischenraum zwischen zwei Stühlen an dem Tisch gestanden hatte. Lucy sah sich im Raum um. Tatsächlich standen alle Aranaer an den Tischen. Als Lucy die Bilder der letzten Tage vor ihrem geistigen Auge vorbei laufen ließ, fiel ihr auf, dass Aranaer meistens zusammen standen und sich nur in ganz wenigen Ausnahmen hinsetzten. Eine dieser Ausnahmen war offensichtlich, wenn man sich mit Terranern unterhalten wollte. Da hatten auch die Aranaer bisher immer gesessen. Lucy ließ ihren Blick zurück zu dem Mädchen wandern, das genau vor ihr saß. Sie saß ganz ruhig dort und starrte sie unverwandt an, sagte aber kein Wort.
Lucy wurde unsicher. Sie war nicht darauf vorbereitet, ein Gespräch mit einer Aranaerin anzufangen. Wie sie bisher schon gelernt hatte, war diese Spezies für Small Talk nicht zu haben. Man konnte sich mit ihnen nur über konkrete Dinge unterhalten. Verzweifelt stöberte Lucy in ihrem Hirn nach irgendetwas, was sie fragen könnte, bis sie beschloss, einfach das zu fragen, was sie tatsächlich interessierte.
»Äh, darf ich dich mal etwas fragen?« Es war gar nicht so einfach zu beginnen.
»Hat man euch nicht gesagt, dass ihr hier jeden auf dem Schiff alles fragen dürft?«, entgegnete die junge Aranaerin und lächelte dabei so freundlich, wie es Aranaern eben nur möglich ist.
»Doch! Nur ich weiß nicht, ob das, was ich fragen will, nicht zu persönlich ist?«
»Es tut mir leid, aber wir kennen nichts, was zu persönlich ist. Uns sind Gefühle fremd. Ich weiß nicht, wie es ist, wenn irgendetwas zu persönlich ist. Wir können über alles reden.«
Lucy merkte, wie ihre Ohren rot wurden. Das war wirklich ein ganz schlechter Anfang für ein Gespräch. Natürlich wusste die junge Frau gar nicht, wovon sie redete. Sie musste mit einer direkt zu beantwortenden Frage beginnen.
»Ja, das ist genau das, was ich fragen wollte. Habt ihr wirklich gar keine Gefühle?«
»Nein, wir haben sogar erst ein Wort dafür, seitdem wir uns wissenschaftlich mit diesem Phänomen bei Imperianern und verwandten Spezies beschäftigen.«
»Aber ich sehe hier doch Aranaer Spiele spielen. Macht ihr das nicht, weil es euch Spaß macht?«
Der Blick des Mädchens wurde kurz etwas trüber, bis sie Lucy wieder direkt in die Augen sah. Außerdem fiel Lucy ein leises Trommeln der Finger der rechten Hand auf der Tischplatte auf.
»Es ist sehr schwer, über diese Dinge zu reden«, begann sie. »Ich habe nur eine sehr undeutliche Vorstellung von dem, was ihr ›Spaß‹ nennt. Für uns ist es sehr befriedigend, wenn eine logische Aufgabe aufgeht, wenn man die optimale Lösung gefunden hat. Wir streben in allen Lebensbereichen nach der optimalen, logischen Auflösung von Problemen. Aber ich glaube, das ist nicht das, was ihr ›Spaß‹ nennt. Wenn du möchtest, können wir mal ein Spiel spielen.«
Lucy nahm das als Kompliment. Schließlich war es beiden Mädchen völlig klar, dass selbst, wenn Lucy das Spiel verstehen würde, was sie bezweifelte, sie niemals den Hauch einer Chance gegen eine Aranaerin haben würde, ein Spiel, das auf Logik basierte, zu gewinnen oder wenigstens einigermaßen anständig zu verlieren.
Obwohl Christoph sie gewarnt hatte, antwortete sie ganz automatisch: »Nein lieber nicht. Da hätte ich ja sowieso keine Chance.«
Höflich
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