Lucy - Besuch aus fernen Welten (Band 1) (German Edition)
zuhause abgehauen.«
»Davon habe ich ja gar nichts mitbekommen.«
»Nein natürlich nicht. Meine Eltern haben natürlich nicht die Polizei gerufen. Sie haben mir im Nachhinein für die Schule sogar eine Entschuldigung geschrieben für diesen Tag. Denen geht es doch nur darum, dass keiner etwas mitbekommt. Mein Vater hat meine ›beste Freundin‹ nach meinem Freund gefragt. Das war damals die Einzige, die überhaupt wusste, dass ich einen Freund hatte, aber den Rest hat sie auch nicht gewusst. So hat er den Namen erfahren und hat dann einfach darüber seine Adresse herausbekommen.«
Kim liefen jetzt Tränen aus den Augen.
»Als er in der Wohngemeinschaft aufgetaucht ist, lag ich gerade mit dem Kerl im Bett. Mein Vater hat nur mit ihm gesprochen. Mich hat nicht einmal angesehen. Er hat ihm gedroht, er würde ihn wegen Missbrauch von Minderjährigen anzeigen, wenn er nicht dafür sorgen würde, dass ich innerhalb von fünf Minuten angezogen vor der Tür stehen würde. Du weißt schon. Und wenn er mich noch einmal wieder sehen würde, würde er dafür sorgen, dass er im Knast landet. Dann ist raus gegangen und hat im Wagen gewartet.«
»Und was hat dein Typ gemacht?«
»Der hat gesagt, dass ich ja ein nettes, kleines Häschen wäre, aber er sich so eine Anzeige nicht leisten könne. Es sei aus und ich solle mich beeilen, bevor mein Vater richtig sauer werden würde.«
Kim begann zu schluchzen.
»Ich bin mir so klein und nutzlos vorgekommen. Zu Hause hat es natürlich keinen interessiert, wie es mir ging. Mein Vater hat nicht mehr mit mir geredet und meine Mutter hat so getan, als sei nichts gewesen. Nach ein paar Tagen hab ich’s dann nicht mehr ausgehalten und bin zu dem Typen gegangen.«
Kim schüttelte schluchzend den Kopf.
»Als ich zu ihm ins Zimmer komme, liegt er mit einer anderen Tussi aus der Clique im Bett. Eine, die etwa genauso alt ist wie er. Kannst du dir das vorstellen? Zwei Tage nachdem er mit mir Schluss gemacht hat! Er schreit mich an, dass ich abhauen soll. Und als ich raus bin und mich erstmal in der Wohngemeinschaftsküche heulend auf einen Stuhl setze, kommt das Allerschlimmste.«
Kim liefen die Tränen über die Wangen, ihr Körper schüttelte sich. Schluchzend sprach sie weiter.
»Da kommt die Tussi aus seinem Zimmer nur mit einem Höschen an und einem seiner Hemden über und erzählt mir, so ganz im Ton der mütterlichen Freundin, ich soll das doch nicht so ernst nehmen. Ich wäre für ihn doch sowieso nur ein Spaß zwischendurch gewesen. Ich müsste doch verstehen, dass ich viel zu jung wäre, dass ich ihm doch nicht das bieten könne, was eine richtige Frau ihm bieten würde und dass er nun doch wieder allein mit seiner eigentlichen Freundin – dieser Tussi nämlich – zusammen sein will. Ich wäre vor Scham fast im Boden versunken. Wenn sie mich wenigstens angebrüllt hätte, mir vor Eifersucht an den Kragen gegangen wäre, aber mich wie ein kleines Mädchen zu behandeln, dass man nicht ernst nehmen muss. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nicht so gedemütigt gefühlt.«
Kim legte ihren Kopf an Lucys Schulter und begann hemmungslos zu weinen. Unbeholfen nahm Lucy sie in den Arm und streichelte ihr tröstend über den Rücken. Sie kam sich ziemlich hilflos vor. Sie war einfach nicht dazu geschaffen, einen anderen Menschen zu trösten. Aber es war schön, eine Freundin zu haben, die einem auch ihren größten Kummer anvertraute. Lucy wusste, dass sie ab jetzt eine beste Freundin hatte - und Kim auch.
Die nächsten Tage waren die beiden Mädchen unzertrennlich. Umso härter traf es Lucy, als Kim eines Abends verschwunden war. Sie hatten sich in den Tagen vorher nie wirklich verabredet, sondern es war immer unausgesprochen klar gewesen, dass sie im Anschluss an Training und Abendessen noch zusammen zu ihrem Lieblingsplatz auf dem Aussichtsdeck gingen. Nun stand Lucy alleine da und Kim war weg. Lars wusste auch nicht, wo sie war, und Christoph war mal wieder zu einem seiner Besuche in der Bordbibliothek unterwegs.
Seitdem Kim ihr erzählt hatte, dass sie meinte, Lars sei in sie verliebt, mochte sie mit ihm nicht mehr allein sein. Lucy war tief in sich gegangen und hatte beschlossen, dass sie an Lars kein Interesse hatte. Allerdings hatte sie absolut keine Lust mit ihm darüber zu reden, schon gar nicht an diesem Tag. Also beschloss sie, einen Rundgang durch das Schiff zu machen. Auf das Aussichtsdeck hatte sie ohne Kim keine Lust, außerdem befürchtete sie, dass Lars
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