Lucy im Himmel (German Edition)
zu kurzen Berührungen. Wenn sie auf den Bildschirm deutete, beugte sie sich von Mal zu Mal ein klein wenig weiter vor, sodass nicht nur ich ihr direkt in den Ausschnitt ihres T-Shirts gucken konnte.
Beim zehnten Manöver dieser Art riss mir der Geduldsfaden. Schamlose Göre! Ich stand auf und schob Gregors gutgefülltes Mineralwasserglas Millimeter für Millimeter näher an ihren Ellenbogen heran. Als sie sich endlich wieder aufrichtete, nachdem sie ihm einen besonders langen Einblick gestattet hatte, touchierte sie das Glas. Ein dumpfer Schlag, ein leises Klirren, ein erschrockener Schrei: Der Boden war voller Scherben, und Claudia hatte einen riesigen Wasserfleck auf dem T-Shirt. Routiniert rettete mein Mann einmal mehr seine Akten vor ihrer vermeintlichen Schussligkeit.
»Oh Gott, ist mir das peinlich! Entschuldigung. Ich weiß gar nicht, warum mir das immer in deiner Gegenwart passiert. Ich bin sonst nicht der Mensch, der ...«
»Kein Problem, ich habe alles unter Kontrolle.« Gregor drehte sich um und nahm das Geschirrtuch vom Fensterbrett, mit dem er seinen Schreibtisch nach ihrer Kaffeeattacke gereinigt hatte. Claudia sammelte unterdessen die Scherben vom Boden zusammen. Natürlich stellte sie sich dabei so ungeschickt an, dass sie sich in den Finger schnitt. Allerdings nur ganz leicht. Hätte sie nicht derart gequiekt, wäre es gar nicht weiter aufgefallen. So aber ließ mein Mann die Pfütze Pfütze sein und kümmerte sich um die Verarztung des Daumens, auf dem sich tatsächlich ein halber Blutstropfen bildete.
Gegen Mittag klingelte Gregors Handy. Ich brauchte einen Augenblick, bis ich kapierte, dass die Anruferin, eine gewisse Frau von Eschweiler, unsere Verkaufsanzeige im lokalen Käseblatt gelesen hatte und sich brennend für mein Auto interessierte. Großartig! Sie schien es allerdings ungemein eilig zu haben. Samstagvormittag war ihr zu spät. Also ließ sich mein Schatz breitschlagen: Er nannte ihr unsere Adresse und versprach in einer halben Stunde daheim zu sein.
Als wir vor dem Haus hielten und die ältere der beiden wartenden Frauen erblickten, hätte die Überraschung nicht größer sein können: Es war die Dame, die wir letztes Wochenende zur Werkstatt geschleppt hatten, nachdem sie an der Tankstelle Benzin anstelle von Diesel getankt hatte. Frau von Eschweiler machte ein ebenso erstauntes Gesicht, meinen Mann wieder zu treffen, freute sich dann aber umso mehr, dass er der Verkäufer war. Ihre Begleiterin war offenbar ihr Töchterchen: Für sie sollte mein Auto sein.
»Ich dachte, Ihnen gehört der schnittige Clio, mit dem Ihre Mutter unterwegs war?«, erkundigte sich Gregor bei dem jungen Fräulein. »Der sah doch ziemlich neu aus.«
»Ein halbes Jahr. Aber nachdem sie den nun mit ihrer hirnlosen Tankerei ruiniert hat, will ich nicht mehr damit fahren«, motzte die offenbar nach Strich und Faden verwöhnte Göre.
Mein Göttergatte zog die Augenbrauen hoch, enthielt sich aber eines Kommentars. Die Mutter zuckte bloß hilflos mit den Schultern. Ich an ihrer Stelle hätte meine Tochter zurechtgewiesen, nicht in der dritten Person von mir zu sprechen, wenn ich nur einen halben Meter von ihr entfernt stand.
Wäre es nach Frau von Eschweiler gegangen, hätten sie den Kauf sofort, ohne Probefahrt, abgewickelt. Aber sowohl mein Mann als auch die junge Dame bestanden darauf. Und ich erst recht: Ich brauchte nämlich Zeit, ihr meinen Audi madig zu machen! Die Trulla sollte ihn nicht bekommen.
Schon nach den ersten Metern wurde mir klar, dass ihr Fahrstil dem ihrer Mutter nicht unähnlich war; zumindest wenn ich daran zurückdachte, wie schnittig Frau von Eschweiler in die Tankstelle geschossen war. Wir brauchten keinen halben Kilometer, um einen Kavaliersstart hingelegt, ein Stopp-Schild überfahren und an einer Rechts-vor-links-Kreuzung einem anderen Verkehrsteilnehmer die Vorfahrt genommen zu haben. Bevor die Göre es schaffte, mich erneut in einem Verkehrsunfall sterben zu lassen, richtete ich meine Augen fest auf ihren Hinterkopf und schickte ihr einen Gedanken: Nein, diese alte Klapperkiste kommt für dich nicht infrage, du willst ein neues Auto! Du fährst jetzt retour!
Gedacht, getan. Ohne den Blinker zu setzen oder auf andere Verkehrsteilnehmer zu achten, wendete sie unmittelbar vor dem Berufsförderungswerk, was sogar meinen Mann trotz seiner stoischen Ruhe dazu zwang, die Augen kurzzeitig
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