Lucy in the Sky
Ohr, und ich drehe mich voller Freude um.
»Hi, Brüderchen!«, ruft Sam. »Ich dachte schon, wir müssten drüben auf dich warten!«
Auch Nathan sieht sehr sexy aus, noch legerer gekleidet als Sam: beigefarbene Jeans und ein eng anliegendes schwarzes T-Shirt über dem durchtrainierten Oberkörper.
Wir marschieren auf die große grün-beige Fähre und gehen gleich aufs obere Deck, wo es vier Reihen Holzbänke gibt. Nathan sitzt neben Amy, ich ihnen gegenüber, in Fahrtrichtung. Er lehnt sich entspannt zurück, und seine Knie berühren beinahe meine. »Du siehst hübsch aus«, sagt er.
»Danke«, antworte ich und bin auf einmal ganz schüchtern.
»Du auch.«
Die Fähre tuckert aus dem Terminal, und wir lassen Manly hinter uns. Als ich nach rechts blicke, sehe ich das Oceanworld Aquarium an der gegenüberliegenden Küste. Nathan folgt meinem Blick. »Warst du schon mal dort?«
»Nein.«
»Ich auch nicht.«
»Es ist toll«, meint Molly. »Du solltest es dir unbedingt ansehen, solange du hier bist.«
»Aber das Sydney Aquarium ist viel besser«, mischt Amy sich ein.
»Hast du sie dir schon beide angeschaut?«, erkundigt sich Molly.
»Nein, bloß das Sydney Aquarium.«
»Woher willst du dann wissen, welches besser ist?«, stellt Nathan die Frage, die auch mir auf der Zunge liegt.
»Ich weiß das einfach«, entgegnet Amy gereizt, und mir fällt ein, dass sie erst ungefähr zwanzig ist.
»Wir könnten nächste Woche mal zusammen hingehen, wenn du magst«, schlägt Nathan vor und beugt sich zu mir.
»Okay.« Ich lächle.
Amy rutscht unbehaglich auf ihrem Sitz herum. »Ich glaube, ich geh lieber rein«, sagt sie. »Es ist mir zu windig hier draußen.« Damit steht sie auf und tritt zwischen Nathan und mich, sodass er gezwungen ist, sich zurückzulehnen. Er sieht ihr nach.
»Du solltest mit ihr reden«, drängt Molly ihn.
»Warum?«, fragt Nathan ein bisschen bockig. »Sie ist nicht meine Freundin, das weißt du doch.«
»Na ja, sie empfindet aber offensichtlich etwas für dich«, entgegnet Molly streng.
Sam schweigt. Anscheinend möchte er sich nicht einmischen.
Auch Nathan sagt nichts mehr und schaut nach links zum Festland.
»Tja, dann seh
ich
eben nach ihr«, verkündet Molly etwas barsch und steht auf.
»Soll ich mitkommen?«, biete ich an und mache Anstalten aufzustehen.
»Nein, schon okay. Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich allein mit ihr rede. Außerdem möchte ich auch rein, weil der Wind mir sonst die Frisur kaputtmacht. Ich hab heute Morgen schon genug Zeit mit dem Glätteisen verbracht.«
»Schon lange her, seitdem du das letzte Mal auf dieser Fähre warst, was, Lucy?«, sagt Sam, als sie weg ist.
»Ja«, murmle ich, hole als wortlose Bestätigung ein Haargummi aus meiner Tasche und binde meine Haare zu einem Pferdeschwanz zurück. Ich erinnere mich noch ganz gut, wie verknotet sie oft nach der Überfahrt waren.
Das letzte Mal, als ich die Fähre genutzt habe, war ich auch mit Sam und Molly unterwegs. Wir standen zu dritt nebeneinander an derselben Reling, Molly und ich rechts und links, Sam in der Mitte. Es war kurz vor meiner Abreise, und die beiden waren gerade mal wieder dabei, sich zu versöhnen und wieder zusammenzukommen. Ich weiß noch, dass ich mich schrecklich ausgeschlossen fühlte. Im Großen und Ganzen gaben Sam und Molly mir nie das Gefühl, das fünfte Rad am Wagen zu sein, aber damals war es ziemlich schmerzhaft, vor allem auch wegen meiner Gefühle für Sam. Immer wieder fuhr er Molly mit der Hand über ihren roten Wuschelkopf, sie lachten, und unsere Haare flatterten im Wind. An diesem Abend hatte ich Tränen in die Augen, als ich versuchte, die Knoten herauszubürsten.
Sams Handy klingelt, und er geht auf die andere Seite des Decks, um den Anruf entgegenzunehmen, sodass Nathan und ich uns nun allein gegenübersitzen.
In dieser Gegend gibt es keine Häuser auf dem Festland, alles ist grün und voller Bäume, aber am Horizont erscheinen jetzt langsam die Businesstürme der City, und oben auf den Klippen entdecke ich ein paar kleinere Betongebäude.
»Schau mal.« Ich stehe auf und gehe zur Reling. »Die sind mir noch nie aufgefallen.« Nathan stellt sich neben mich. »Meinst du, die sind noch aus dem Krieg?«, frage ich und deute mit einer Kopfbewegung zu den grauen Gebäuden.
Er beugt sich vor und stützt die Ellbogen auf die Reling.
»Haben die Japaner nicht ihre U-Boote in den Hafen von Sydney geschleust?«, fahre ich fort.
»Ja, ich glaube, da war so was.
Weitere Kostenlose Bücher