Lucy in the Sky
Her: Mal waren sie zusammen, dann wieder nicht, und das bedeutete für mich jede Menge Herzschmerz. Ich war nämlich total in Sam verknallt, und jedes Mal, wenn er sich wieder mit Molly aussöhnte, war ich am Boden zerstört, während ich mir unweigerlich neue Hoffnung machte, wenn sich das Verhältnis zwischen ihnen abkühlte.
Ich bin froh, dass keiner von beiden je erfahren hat, was ich empfand. Das Leben geht weiter, und heute freue ich mich ehrlich und von Herzen darüber, dass meine beiden Freunde den Bund fürs Leben schließen wollen.
Jedenfalls glaube ich das. Wer weiß – womöglich wird alles anders, wenn ich Sam wiedersehe. Hoffentlich nicht. Wie ist das mit der ersten Liebe, die man angeblich nie vergisst?
Als Molly mich mit der Neuigkeit anrief, dass sie sich mit Sam verlobt hatte, wusste ich sofort, dass ich sie besuchen musste. Ich hatte Australien verlassen, als meine Mutter, die ursprünglich aus England stammte, zum zweiten Mal heiratete. Irgendwie ist die Geschichte ja ein wenig albern: Meine Mum hat meinen Vater, einen Alkoholiker, in Irland verlassen und mich nach Australien geschleppt, als ich gerade mal vier Jahre alt war, nur um dort einen Engländer kennenzulernen und zwölf Jahre später nach England zurückzukehren. Damals habe ich nur noch geheult, denn es zerriss mir fast das Herz, Australien verlassen zu müssen. Erstaunlich, wie schnell man sich anpasst: Heute liebe ich England. Ich liebe London, die Stadt, in der ich lebe und arbeite, und ich liebe es, Mum und ihren Mann Terry in ihrem Haus in Somerset zu besuchen. Ich liebe auch meine beiden Brüder – genau genommen natürlich meine Stiefbrüder: Tom ist inzwischen einundzwanzig, Nick gerade achtzehn. Für mich war es ein bisschen einsam, allein mit Mum aufzuwachsen.
Im Pool planschen hauptsächlich Kinder mit Schwimmflügeln. Oben an der Treppe erscheint ein junges Paar. Beide tragen Jeans und einen Rucksack auf dem Rücken, und als sie ins Freie treten, wischen sie sich sofort den Schweiß von der Stirn. Ich bin heilfroh, dass ich mein Kleid eingepackt habe.
Ich glaube, ich will noch einen Cocktail. »Entschuldigen Sie, wie heißt der Drink nochmal, den ich gerade hatte?«
»Singapore Sling, Madam.«
Wie passend. »Ich hätte gern noch einen, bitte.« Der Barkeeper nickt und macht sich ans Werk. Was ist da wohl drin, frage ich mich und greife nach der Getränkekarte. Aha: Grenadine, Gin, Sweet and Sour Mix, Kirschbrandy … Lecker.
Die Musik in Singapur ist richtig gut. James würde lachen, wenn er mich jetzt sehen könnte – Cocktails trinkend und mit dem Fuß wippend.
Vielleicht hat James meine Kirschlikörpralinen ja wirklich zum Spaß versteckt. Denn die Geschichte mit dem Bettler kann ich immer noch nicht glauben.
Okay, mein Freund neigt zu gelegentlichen Flunkereien. Aber ich glaube, dass er ehrlich keinem damit wehtun will. Beispielsweise hat er mir bei der Party, auf der wir uns kennengelernt haben, erzählt, dass man seiner Mutter einmal zehntausend Pfund dafür geboten habe, damit sie dem Chef von »Mr.Kipling Cakes« ihr Schokoladenkuchenrezept verkauft. Bestimmt hat er gedacht, dass ich die Geschichte sofort wieder vergesse, aber ein paar Monate später war ich nachmittags zum Tee bei seinen Eltern, und seine Mum, eine winzige, zarte Frau, servierte zufällig Schokoladenkuchen.
»Ist das etwa Ihr grandioses Rezept?«, fragte ich sie wissend, und sie antwortete: »Oh, nein, Liebes, den Kuchen hab ich bei Marks and Spencer gekauft. Ich kann überhaupt nicht backen, mir verbrennt einfach alles.«
Als ich James deswegen später zur Rede stellte, konnte er sich vor Lachen kaum noch halten und fragte mich, wie ich denn auf diese absurde Idee gekommen wäre. Ich erklärte es ihm, aber er stritt alles ab und bestand lachend darauf, dass ich das sicher nur geträumt hätte. Ich weiß nicht, vielleicht hat er ja recht.
Aber es gab noch andere Lügengeschichten, die ich garantiert nicht geträumt haben kann – manche davon waren sogar ziemlich originell. Wie die Geschichte von seinem Großvater, der angeblich mit Marilyn Monroe geknutscht hatte, als sie für die Truppen in Korea sang. Von James’ Vater erfuhr ich später, dass der alte Kerl überhaupt nicht im Koreakrieg gekämpft und dass Marilyn zu dem Zeitpunkt gerade Joe DiMaggio geheiratet hatte. Das hatte ich gegoogelt.
Aber dass seine Mum ihr Rezept an Mr.Kipling verkaufen sollte … Das ist meine Lieblingsgeschichte. Dieser kleine Scheißkerl. Manchmal
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