Lucy kriegt's gebacken
auf.
„Stuffie und ich haben uns noch nie besonders gut verstanden“, erklärt Ethan. „Er ist ein großer fieser Kerl.“
Nicky kichert. „Vielleicht kann Mommy über dich in ihrem Buch schreiben.“
„‚The Holy Rollers und der fiese Stuffie‘“, schlägt Parker vor. „Gefällt mir.“ Ethan lächelt sie an, dann küsst er Nicky wieder.
Ich beobachte die ganze Szene, als ob ich irgendwie darüberschweben würde, merkwürdig unbeteiligt. Mein Herz schlägt noch immer schnell und ungleichmäßig, und so fest, wie mein Hals zusammengeschnürt ist, wundere ich mich, dass ich überhaupt Luft bekomme. Doch äußerlich bin ich ganz ruhig.
Eine Schwester streckt nach etwa einer halben Stunde den Kopf ins Zimmer. „Sobald der Arzt Ihre Entlassungspapiere unterschrieben hat, können Sie nach Hause gehen, Mr. Mirabelli.“
„Wir warten draußen auf dich, mein Sohn“, sagt Gianni. Kurz drückt er Ethans Schulter.
„Danke, Dad.“
„Komm, Nicky. Wir sehen Daddy morgen wieder.“ Parker beugt sich vor und küsst Ethan auf die Wange. „Ich bin froh, dass es dir gut geht, du Idiot“, murmelt sie. „Das nächste Mal schau erst in beide Richtungen, bevor du eine Straße überquerst.“
„Na klar. Jetzt gib dem Opfer alle Schuld.“ Ethan grinst. „Gute Nacht, Nick, du kleine Zecke.“ Er umarmt seinen Sohn und zuckt leicht zusammen - wahrscheinlich hat er jede Menge Prellungen, ganz zu schweigen von einer Gehirnerschütterung und dem Schnitt am Kopf. Von einem Auto erfasst. Wieder sehe ich, wie er durch die Luft geflogen ist, und höre den dumpfen Aufschlag, als sein Körper auf der Straße landete … Wieder muss ich husten, dann winke ich Corinne, Christopher und meiner Mutter hinterher, die sich ebenfalls verabschiedet haben.
Schließlich sind Ethan und ich allein. Als ich ihm helfe, das blutige Hemd zuzuknöpfen, zittern meine Finger stark. Ich kann den scharfen Geruch von Desinfektionsmittel riechen und sehe das Blut in seinem verfilzten Haar.
Wir reden nicht.
Nach einer Ewigkeit kommt ein anderer Arzt ins Zimmer. Er wirft einen Blick auf Ethans Krankenakte, dann entdeckt er mich und scheint zweimal hingucken zu müssen. „Tja, Mr. Mirabelli. Tylenol für Ihre Kopfschmerzen und eine schöne heiße Dusche. Morgen werden Sie sich fühlen, als ob Sie von einem Auto angefahren worden wären.“ Er lächelt über seinen eigenen Scherz. „Haben Sie jemanden, der bei Ihnen bleiben kann?“
„Ja“, sagt Ethan.
„Sehr gut.“ Er reicht Ethan eine Liste mit Instruktionen. „Sie haben verdammtes Glück gehabt.“
„Allerdings“, stimmt Ethan ihm zu.
Der Arzt will gerade gehen, dann wendet er sich an mich: „Sie sind doch Jimmy Mirabellis Witwe, oder?“
„Ja“, antworte ich.
„Dann müssen Sie Jimmys jüngerer Bruder sein.“
„Das stimmt.“
„Ich bin Tony Aresco“, sagt er. „Ich bin zusammen mit Jimmy auf der Highschool gewesen.“ Er wirft mir ein trauriges Lächeln zu, wie ich es so oft in den letzten fünfeinhalb Jahren gesehen habe. „Er war ein toller Kerl. Mein herzliches Beileid.“
„Danke.“
„Machen Sie es gut.“ Er drückt kurz meine Schulter und geht.
Ich stehe einen Moment lang da, dann hebe ich Ethans Schuhe auf und reiche sie ihm. Er zieht sie nicht an, stellt sie nur vorsichtig aufs Bett und sieht mich an. Wo er genäht wurde, steht sein Haar zur Seite ab.
„Fühlst du dich gut?“, frage ich.
„Mir geht es gut“, sagt er zum ungefähr fünfzigsten Mal. Seine braunen Augen blicken mich unverwandt an. Ethan kennt mich, genau genommen kennt er mich besser als jeder sonst, und niemand hat jemals behauptet, dass er naiv wäre. Meine Augen füllen sich mit Tränen.
Er seufzt resigniert und blickt zu Boden. Er weiß es. „Du kannst es ruhig ausspucken.“
Ich beiße mir so fest auf die Lippen, dass ich Blut schmecken kann. „Es tut mir so leid, Ethan“, flüstere ich, weil es mit dem Kieselstein im Hals leichter ist, zu flüstern. „Ich kann das nicht. Ich möchte so gern, aber ich kann nicht.“
Einen Moment lang sagt er nichts, sondern starrt weiterhin auf den Boden. Dann schüttelt er leicht den Kopf. „Okay, Lucy“, sagt er müde. „Wenn du es so willst, in Ordnung.“
Und einfach so ist es vorbei.
29. KAPITEL
Zum ersten Mal in sechs Jahren übernachte ich bei meiner Mutter. Das letzte Mal habe ich das direkt nach Jimmys Tod getan.
Ich bin nicht oft in meinem Elternhaus. Seit Christopher und Corinne verheiratet sind, treffen wir uns an
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