Lucy kriegt's gebacken
Feiertagen in ihrem Haus. Mom hat in den Jahren viel verändert, sie putzt das Haus genauso gerne heraus wie sich selbst. Noch habe ich die neue Farbgestaltung im Wohnzimmer nicht gesehen - Selleriegrün, Weiß und Rot. Es wirkt wie im Wartebereich eines teuren Kosmetiksalons, will heißen, etwas zu chic und wenig einladend.
„Hier.“ Mom drückt mir irgendein Getränk in die Hand. „Du siehst so aus, als ob du das brauchen könntest.“
Ich probiere einen Schluck. Whiskey. Er brennt hinten in meinem Hals, was mich überrascht, so betäubt, wie ich mich fühle.
„Ich nehme an, du und Ethan habt euch getrennt.“ Mom setzt sich neben mich und zieht ihre hochhackigen roten Schuhe aus. Dann trinkt sie auch einen Schluck aus ihrem Glas.
„Ja.“
Sie nickt.
„Ich weiß jetzt, warum du nie wieder geheiratet hast, Mom. Tut mir leid, dass ich dir damit immer wieder auf die Nerven gegangen bin.“
„Wobei dieser Joe Torre ein netter Mensch ist, keine Frage“, sagt sie lächelnd. Dann legt sie seufzend einen Arm um mich und drückt meinen Kopf an ihre Schulter. Der tröstliche Duft von Chanel No 5 hüllt mich ein. „Ethan ist ein guter Junge. Und mach dir keine Sorgen - er wird darüber hinwegkommen. Er findet jemand anderes. Du hast sein Leben nicht ruiniert, Schätzchen.“
Ich versuche mir Ethan mit Ehefrau und noch ein paar Kindern vorzustellen, doch stattdessen sehe ich Captain Bob vor mir, der sein Leben lang auf ein und dieselbe Frau fixiert ist und seine unerwiderte Liebe in Alkohol ertränkt. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um zu weinen, aber der Kieselstein scheint wie ein Korken zu funktionieren. „Ich habe ihn gerufen, Mom“, wispere ich. „Deswegen wurde er von einem Auto angefahren.“
Sie schnaubt leise. „Nun, ich würde sagen, er wurde angefahren, weil dieser idiotische Polizist lieber einen Menschen als eine Pappmaschee-Muschel überfahren wollte. Ehrlich, es wundert mich sowieso, dass die Polizei nicht mehr Menschen auf dem Gewissen hat.“ Sie trinkt noch einen Schluck. „Und diese Uniformen sehen einfach lächerlich aus“, fügt sie hinzu, wie meistens nichts anderes als Klamotten im Kopf.
„In der Nacht, in der Jimmy gestorben ist, habe ich am Telefon zu ihm gesagt, dass ich ihn vermisse. Ich wollte, dass er nach Hause kommt. Stattdessen hätte ich ihn bitten sollen, irgendwo anzuhalten, zu schlafen, sich ein Zimmer zu nehmen, irgendwas …“
„Hör auf, Liebling“, sagt sie streng. „Hör auf. Das ist einfach albern. Du bist nicht schuld an Jimmys Tod. Wenn du gewusst hättest, wie müde er war, hättest du nichts dergleichen gesagt. Du wusstest es nicht, weil er es dir nicht gesagt hat. Und du bist auch nicht schuld daran, dass Ethan heute angefahren wurde.“
Ich nicke gehorsam.
„Du wirst morgen nicht arbeiten gehen. Jorge und ich kümmern uns um das Brot. Das wird dann zwar nicht so gut wie deines, aber auch nicht furchtbar.“
„Danke, Mom.“
Sie steht auf und zieht mich von der Couch. „Lucy.“ Sie streicht mir eine Strähne hinters Ohr.
„Ja, Mom?“
Sie seufzt. „Liebling, ich weiß, dass du wegen Ethan leidest. Aber betrachte es doch mal so. Das Leben ist viel unkomplizierter, wenn man allein ist. Das klingt vielleicht nicht sonderlich spannend, aber es spricht vieles dafür, auf Nummer sicher zu gehen.“
Ich nicke. Sie hat bestimmt recht. Ethan war nicht gut für mich, ich war nicht gut für ihn, ohne einander sind wir beide besser dran. Ich kann kein Leben führen, in dem ich, sobald mein Mann das Haus verlässt, befürchte, ihn nie mehr wiederzusehen. Mein Leben wird glatt verlaufen - es ist ein bisschen wie mit diesem Wohnzimmer. Kein Raum, in dem man wirklich sein möchte, aber andererseits auch nicht so schlecht.
„Trink deinen Whiskey aus“, befiehlt Mom. „Der ist richtig gut. Und dann gehst du ins Bett. Du kannst einen von meinen neuen Pyjamas anziehen, die ich gerade bei Nordstrom‘s gekauft habe. Seide.“
Ich habe schrecklich schlecht geschlafen. Immer wieder habe ich Ethans Unfall vor mir gesehen, gehört, wie der Wagen ihn traf und sein Körper auf der Straße aufschlug. Ich wollte mich nicht jetzt, wo er verletzt ist, von ihm trennen, aber er wusste es. Ich kann einfach nicht mit ihm zusammen sein. Ich habe es versucht, aber ich kann es nicht.
Ich sitze am Küchentisch und starre blicklos auf eine Schranktür, als Mom am Nachmittag aus der Bäckerei kommt. „Schau mal, was heute gekommen ist.“ Sie lässt ihren Schlüssel auf
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