Lucy kriegt's gebacken
überhaupt nichts. Mein Atem beruhigt sich endlich.
Ich werde mit Ethan keine Kinder haben, weiß Gott nicht. Jetzt mal ehrlich. Es sind weder Parker noch Jimmy, die mich davon abhalten.
Sondern das Wissen, dass ich mich wirklich in Ethan verlieben könnte. Ich könnte ihn so sehr lieben, dass es mir das Herz bräche, wenn ihm jemals etwas zustieße. Es würde mich zerstören, ihn so wie Jimmy zu verlieren, und dieses Mal würde ich es vielleicht nicht überstehen.
Egal, was ich für Ethan vielleicht empfinden könnte, egal, was er für mich getan hat - nichts ist es wert, so einen Schmerz noch einmal zu erleben.
„Tantchen geht es gut“, wispere ich erneut und streichle mit einer Hand über Emmas Kopf. „Tantchen geht es sehr gut.“
10. KAPITEL
Wir stehen auf dem Parkplatz. „Bereit, reinzugehen?“, frage ich.
Neben dem Auto auf einem Parkplatz herumzustehen ist ein langjähriges Ritual, wann immer ich mit den schwarzen Witwen irgendwohin gehe. Es gibt da eine gewisse Ordnung, eine Hierarchie, wer zuerst aussteigt und wie. Erstens will es die Tradition, dass die Jüngste fährt. Das bin ich, zum Glück, wenn man Iris‘ und Roses Fahrstil bedenkt. Das Auto in die Richtung lenken, in die man will, und dann das Gaspedal durchtreten. Es ist die Verantwortung der anderen Fahrer, Fußgänger, Rehe, Bäume und Gebäude, aus dem Weg zu gehen.
Am Ziel angekommen, ist es meine Aufgabe, auszusteigen und in Bereitschaft zu warten, während Iris sich ihren Coral-Glow-Lippenstift aufträgt, den es schon seit neunzehnhundertachtundsiebzig nicht mehr gibt, den sie aber in weiser Voraussicht rechtzeitig gehortet hat. Sie braucht keinen Spiegel dazu, eine Fähigkeit, die einem offenbar zu Eisenhowers Zeiten beigebracht wurde. Zumindest habe ich bisher keine Frau unter sechzig erlebt, die das kann.
Danach folgt der Brauch - wie gerade jetzt -, dass Rose entsetzt aufkeucht, weil sie ihre Geldbörse verloren hat. Sie durchwühlt ihre große schwarze Handtasche, während sich ihre Lippen in einem stummen Stoßgebet bewegen. Einen Moment später lässt der Heilige Antonius, Schutzpatron für verlorene Gegenstände, die Geldbörse durch wundersame Weise wieder erscheinen, und zwar genau neben dem gummierten Umschlag, in dem Rose ihre Krankenversicherungskarte, ihre Medikamentenliste, Dutzende Gutscheine und die Anweisung für ihre Bestattung aufbewahrt.
Nach dieser himmlischen Hilfestellung muss meine Mutter ihren Schal richten. Ohne Schal geht sie nirgendwohin, egal ob Winter oder Sommer ist. Heute hat sie sich für einen schönen orange- und pinkfarbenen entschieden, und obwohl wir die Bäckerei erst vor zehn Minuten verlassen haben, bleiben wir der Tradition verpflichtet.
„Sieht mein Hals irgendwie runzlig aus?“, fragt Mom. Meine Arme tun bereits weh, weil ich das Tablett mit Aprikosenbrioches trage, die ich gestern im Backkurs gemacht habe. Meine Studenten, die zwischen siebzehn und vierundachtzig sind, waren ganz verrückt danach.
„Überhaupt nicht“, widerspreche ich. „Du siehst toll aus, Mom.“
„Ach nein“, erwidert sie sanft. Eine weitere Tradition - Komplimente nicht anzunehmen. Dann wirft sie einen Blick auf meine ausgewaschenen Jeans mit dem fransigen Saum und meinen absolut unauffälligen braunen Wollpullover. „Das ziehst du an?“
„Nein. Ich habe ein Ballkleid angezogen, aber das ist unsichtbar.“ Ich drehe mich um meine eigene Achse, sorgsam darauf bedacht, die Brioches nicht fallen zu lassen. „Gefällt es dir?“
„Es würde dich nicht umbringen, dich ab und zu hübsch anzuziehen.“ Sie streicht ihren schicken Seidenrock glatt. Natürlich hat sie recht - gestern habe ich wieder einen Kaschmirpullover gekauft, meinen siebzehnten (aber dem konnte ich wirklich nicht widerstehen - fantastische Pfirsichfarbe, weiter Ausschnitt und wunderhübsche Knöpfe). Vor meinem geistigen Auge sehe ich meinen Schrank, der flehend seine Türen öffnet. Komm schon, Lucy, betteln die ungetragenen Kleidungsstücke. Wir sind für dich da.
„Sind wir so weit?“, fragt Iris dann und marschiert, ohne eine Antwort abzuwarten, voraus, Anführerin unserer kleinen ungarischen Witwenparade.
High Hopes Convalescent Center ist ein Pflegeheim, dessen Name insofern schlecht gewählt ist, weil die meisten Bewohner im Sterben liegen. Eine von ihnen ist meine Großtante Boggy (tatsächlich heißt sie Boglarka, was auf Ungarisch „Butterblume“ bedeutet). Die schwarzen Witwen und ich besuchen sie regelmäßig -
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