Lucy Sullivan wird heiraten
benimmst dich richtig erwachsen.«
Folglich kam es zu einer kleinen Rauferei. Ich versuchte, ihm einen Schlag zu versetzen, er aber packte mich an den Handgelenken und hielt sie fest. Dann lachte er mich aus, während ich mich wand und nach ihm trat, um freizukommen. Aber ich konnte mich keinen Zentimeter rühren, und er sah mich völlig unbeteiligt an und grinste.
Dieses Macho-Gehabe ging mir auf die Nerven. Bei einem anderen Mann hätte es vermutlich ziemlich erregend auf mich gewirkt.
»Du Rüpel.« Das würde ihn ärgern, und richtig, er ließ sofort los. Sonderbarerweise enttäuschte mich das.
Wir gingen in die warme Küche, wo Mum mit Keksen, Zucker und einem Milchkrug hantierte.
Dad saß im Lehnsessel und schnarchte leise vor sich hin. Wirr umstanden die weißen Haarbüschel seinen Kopf. Ich strich sie zärtlich glatt. Seine Brille saß schief, und mir wurde schmerzlich bewußt, daß er anfing, wie ein Greis auszusehen. Nicht wie ein Mann in mittleren Jahren oder ein älterer Mann, sondern wirklich wie ein kleiner Greis.
»Wenn ihr erst mal was Warmes im Leibe habt, geht’s euch gleich besser«, sagte Mum. »Hast du einen neuen Rock, Lucy?«
»Nein.«
»Wo hast du ihn her?«
»Er ist nicht neu.«
»Das hab ich verstanden, als du es zum ersten Mal gesagt hast. Wo hast du ihn her?«
»Kennst du doch nicht.«
»Probier’s einfach.« Zu Daniel gewandt sagte sie mit mädchenhaftem Lachen, während sie ihm einen Teller mit Keksen über den Tisch hinschob: »Ich bin nämlich nicht so verkalkt, wie sie meint.«
»Kookaï«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
»Wie kann ein Laden nur so heißen«, fragte sie und tat, als ob sie lachen müßte.
»Ich hab dir gleich gesagt, du kennst ihn nicht.«
»Stimmt. Ich will ihn auch gar nicht kennen. Woraus ist er?« Sie faßte nach dem Stoff.
»Woher soll ich das wissen?« fragte ich ärgerlich und versuchte, den Rock ihren Krallen zu entreißen. »Ich kauf Sachen, die mir gefallen, nicht solche, die aus was Bestimmtem gemacht sind.«
»Ich würde sagen, es ist nur Synthetik«, sagte sie und rieb den Stoff zwischen den Fingern. »Sieh nur, wie er knittert!«
»Hör auf.«
»Und wie er verarbeitet ist – jedes Kind könnte den Saum sauberer nähen. Was hattest du gesagt, wieviel du dafür bezahlt hast?«
»Hab ich nicht gesagt.«
»Schön, also was hast du dafür bezahlt?«
Ich wollte ihr eigentlich erklären, daß ich nicht bereit sei, ihr das zu sagen, doch das würde wohl kindisch klingen.
»Hab ich vergessen.«
»Ich schätze, du weißt es sehr genau. Aber du schämst dich, es mir zu sagen. Wahrscheinlich viel zu viel. Viel mehr, als er jedenfalls wert ist.« Ich sagte nichts.
»Du konntest noch nie mit Geld umgehen, Lucy.« Ich sagte immer noch nichts.
»Manch einer kapiert’s eben nie.«
Schweigend saßen wir drei um den Tisch. Ich weigerte mich mißmutig, den Tee zu trinken, weil sie ihn gemacht hatte.
Immer wieder trieb sie mich dazu, mich von meiner schlimmsten Seite zu zeigen.
Daniel rettete die Situation, indem er in die Diele hinausging und den Kuchen holte, den er ihr gekauft hatte.
Natürlich war sie entzückt und überschlug sich fast dabei, ihn in den höchsten Tönen zu loben.
»Wie lieb von Ihnen. Das wär doch nicht nötig gewesen. Auch wenn es traurig ist, daß mein eigen Fleisch und Blut mir nichts mitbringt.«
»Nein, nein, er ist von uns beiden, nicht nur von mir«, sagte Daniel.
»Schleimer«, sagte ich lautlos über den Tisch hinweg.
»Ach so«, sagte Mum. »Danke, mein Kind. Aber du müßtest eigentlich wissen, daß ich in der Fastenzeit keine Schokolade ess.«
»Kuchen ist doch keine Schokolade«, sagte ich matt.
»Schokoladenkuchen schon«, sagte sie.
»Dann frier ihn doch ein und iß ihn nach der Fastenzeit«, schlug ich vor.
»Der hält sich bestimmt nicht.«
»Ich denke doch.«
»Außerdem widerspricht das dem Gedanken des Fastens.«
»Gut, iß ihn nicht. Dann essen ihn eben Daniel und ich.«
Der Zankapfel stand mitten auf dem Tisch und wirkte mit einem Mal so furchterregend wie eine Bombe. Hätte ich es nicht besser gewußt, ich hätte geschworen, daß man sehen konnte, wie er tickte. Mir war klar, daß er nie gegessen würde.
»Worauf verzichtest du eigentlich während der Fastenzeit, Lucy?«
»Auf nichts!« Geheimnisvoll fügte ich hinzu: »In meinem Leben gibt es so viel Elend, daß ich nicht auch noch auf was zu verzichten brauche.« Insgeheim hoffte ich, sie würde begreifen, daß ich
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