Lucy Sullivan wird heiraten
behandelst. Davon abgesehen bist du wohl ganz in Ordnung.«
»Dein Wort in der Götter Ohr«, grinste Daniel. »Kann ich diese Lobeshymne schriftlich haben?«
»Nein.«
Schweigend zogen wir weiter, vorbei an endlosen Reihen kleiner Vorstadthäuser, die aussahen wie flache Kisten. Es war bitterkalt.
Nach einer Weile fragte Daniel: »Für wen ist er also?«
»Wer?«
»Der Whiskey.«
»Natürlich für Dad. Für wen sonst?«
»Süffelt der immer noch?«
»Daniel! Sag das nicht so.«
»Wie?«
»In deinem Mund klingt das, als wäre er ein Penner, ein Wermutbruder oder irgendwas in der Art.«
»Aber Chris hat doch gesagt, er hätte aufgehört.«
»Was, Dad und mit Trinken aufhören?« sagte ich spöttisch. »Du machst Witze. Warum sollte er?«
»Ich weiß nicht«, sagte Daniel übertrieben sanftmütig. »Chris hat es mir eben erzählt. Da muß ich wohl was falsch verstanden haben.« Schweigend zogen wir weiter.
»Und was bringst du deiner Mutter mit?«
»Der?« fragte ich überrascht. »Nichts.«
»Das ist aber nicht nett von dir.«
»Wieso? Ich schenk ihr nie was.«
»Warum nicht?«
»Weil sie arbeitet. Sie hat Geld. Dad arbeitet nicht und hat kein Geld.«
»Du würdest ihr also nie auch nur eine Kleinigkeit mitbringen?«
Ich blieb stehen. Da ich vor ihm ging, mußte auch er stehenbleiben.
»Jetzt hör mal zu, du Schleimer«, sagte ich empört. »Ich schenk ihr zum Geburtstag, zu Weihnachten und am Muttertag was. Das genügt. Vielleicht schenkst du ja deiner Mutter jedesmal was, wenn du sie besuchst, ich nicht. Hör auf, mir einzureden, ich sei eine schlechte Tochter.«
»Ich meinte doch nur... ach, was soll’s.« Er sah so jämmerlich drein, daß ich ihm nicht länger böse sein konnte.
»Schon gut«, sagte ich und nahm ihn am Arm. »Falls du dich dann besser fühlst, kauf ich ihr nachher im Laden um die Ecke ’nen Kuchen.«
»Laß nur.«
»Daniel! Warum bist du jetzt eingeschnappt?«
»Bin ich nicht.«
»Bist du doch. Du hast ›Laß nur‹ gesagt.«
»Ja«, lachte er. »Das hab ich gesagt, weil ich schon ’nen Kuchen für sie hab.« Ich versuchte, angewidert dreinzuschauen.
»Daniel Watson, du bist tatsächlich ein Schleimer.«
»Überhaupt nicht; ich bin nur gut erzogen. Deine Mutter lädt mich zum Abendessen ein, und da bin ich einfach höflich zu ihr.«
»Nenn es ruhig Höflichkeit – ich nenn es Schleimerei.«
»Von mir aus, Lucy«, lachte er. »Sag dazu, was du willst.«
Wir bogen um die Ecke, und ich sah das Haus meiner Eltern. Mir wurde schwer ums Herz. Ich haßte das Haus. Ich haßte es, hierherzukommen.
Mir fiel etwas ein. »Daniel«, sagte ich eindringlich.
»Was?«
»Wenn du vor meiner Mutter auch nur ein Wort über Gus sagst, bist du ein Kind des Todes.«
»Würde mir doch nicht im Traum einfallen.« Er sah gekränkt aus.
»Gut. Ich freu mich, daß wir uns verstehen.«
»Meinst du etwa, es wäre ihr nicht recht?« scherzte er.
»Halt den Rand.«
36
I ch sah eine Bewegung hinter der Wohnzimmergardine. Mum riß die Haustür auf, bevor ich überhaupt klingeln konnte.
Einen Augenblick lang machte mich das traurig. Hat sie wirklich nichts Besseres zu tun? fragte ich mich.
»Willkommen, willkommen!« sagte sie munter und gönnerhaft, ganz Gastgeberin. »Herein in die gute Stube. Wie geht es Ihnen, Daniel? Wirklich lieb von Ihnen, uns hier draußen zu besuchen.« Mit der Frage: »Sind Sie sehr durchgefroren?« griff sie nach seinen Händen. »Ach nein, ist nicht schlimm. Legt ab und kommt rein. Ich hab schon Tee gemacht, er muß nur noch ziehen.«
»Da kann er mir ja auch gleich den Mantel ausziehen«, sagte Daniel und lächelte meine Mutter verschwörerisch an.
»Aber, aber!« Sie lachte wie ein junges Mädchen und verdrehte die Augen. »Sie sind ja ein ganz Schlimmer.«
Ich steckte mir einen Finger in den Hals und tat so, als müßte ich würgen.
»Hör doch auf«, knurrte Daniel.
»Warum bist du nur so gehässig zu mir?« sagte ich. »Bist du doch sonst nicht.«
»Weil du dich manchmal kindisch und widerwärtig aufführst.«
Das ärgerte mich so sehr, daß ich etwa fünfzigmal in beleidigtem Ton »kindisch und widerwärtig« sagte, während wir in der winzigen Diele unsere Mäntel auszogen und sie unten über das Treppengeländer legten.
Daniel legte seine Stirn in Falten, aber ich wußte, daß er sich Mühe geben mußte, nicht zu lachen.
»Wenn du jetzt sagst, ›Du benimmst dich richtig erwachsen ‹, schmier ich dir eine«, teilte ich ihm mit.
»Du
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