Lucy Sullivan wird heiraten
meiner Mutter Zeit vergeuden sollte, für die ich bessere Verwendung hatte. Selbst wenn ich nicht mit Gus zusammen wäre, könnte ich zumindest anderen über ihn erzählen.
Das einzige, was den Besuch halbwegs erträglich machte, war, daß Daniel mitkam. Vor meiner Mutter konnte ich nicht gut über Gus reden, wohl aber konnte ich Daniel auf dem Hin- und Rückweg in der U-Bahn die Ohren vollquatschen.
Ich traf mich am Donnerstag nach Feierabend mit ihm, und wir verließen die Innenstadt von London mit der Piccadilly-Linie westwärts.
»Ich kann mir für den Abend was Besseres vorstellen, als Hunderte von Kilometern zu fahren, um meine Mutter zu besuchen«, knurrte ich, während wir in einem überfüllten Waggon davonschaukelten, in dem es nach nassen Mänteln roch und dessen Fußboden mit Bergen von Aktentaschen und Einkaufstüten verstellt war. »Zum Beispiel in einem sibirischen Salzbergwerk arbeiten oder die Fahrstreifen der Autobahn nach Manchester sauberlecken.«
»Vergiß nicht, daß du auch deinen Vater sehen wirst«, erinnerte mich Daniel. »Freut dich das nicht?«
»Doch, schon, aber ich kann nicht vernünftig mit ihm reden, wenn sie dabei ist. Außerdem hasse ich es, mich von ihm zu verabschieden. Ich hab dann immer so ein schlechtes Gewissen.«
»Ach, Lucy, du machst dir das Leben selbst schwer«, seufzte Daniel. »So schlimm muß es nicht sein, weißt du.«
»Weiß ich«, lächelte ich. »Aber vielleicht gefällt es mir so.«
Ich wollte nicht, daß Daniel anfing, mir Ratschläge zu erteilen, von denen ich wußte, daß sie nichts nützen würden. Er war die Art Mensch, die nicht so schnell aufhören, wenn sie erst einmal mit guten Ratschlägen angefangen haben. Schon viele Freundschaften sind an diesen Klippen unerwünschter Hilfe zerschellt.
»Vielleicht gefällt es dir tatsächlich«, räumte er ein. Die Entdeckung schien ihn zu überraschen.
»Gut«, lächelte ich. »Schön, daß wir uns einig sind. Jetzt brauch ich mich nicht damit zu belasten, daß du dir um mich Sorgen machst.«
Als wir aus der U-Bahn stiegen, war es dunkel und kalt. Der Fußweg zum Haus meiner Eltern dauerte eine Viertelstunde.
Daniel bestand darauf, mir die Tasche zu tragen.
»Mein Gott, Lucy, die wiegt ja eine Tonne. Was hast du denn alles da drin?«
»Eine Flasche Whiskey.«
»Für wen?«
»Nicht für dich«, kicherte ich.
»Das hätte ich mir denken können. Von dir krieg ich nie was anderes als Beschimpfungen.«
»Das stimmt nicht! Hab ich dir nicht zum Geburtstag eine wunderschöne Krawatte geschenkt?«
»Doch, hast du. Vielen Dank. Immerhin war das besser als im vorigen Jahr.«
»Was hab ich dir damals noch geschenkt?«
»Socken.«
»Ach richtig, stimmt.«
»Immer schenkst du mir SOS – als ob ich dein Vater wär.«
»Was meinst du damit?«
»Na ja – Schlips, Oberhemd, Socken. Das schenkt man schließlich üblicherweise seinem Vater.«
»Ich nicht.«
»Tatsächlich nicht? Was schenkst du ihm?«
»Meist Geld. Und manchmal eine gute Flasche Schnaps.«
»Aha.«
»Eigentlich hatte ich dir dieses Jahr was anderes schenken wollen, nämlich ein Buch...«
»... aber ich hab schon eins, ich weiß, ich weiß«, fiel er mir ins Wort.
»Ach je«, lachte ich. »Hab ich dir das schon früher gesagt?«
»Ja, Lucy, schon ein- oder zweimal.«
»Ach, wie peinlich. Entschuldige bitte.«
»Was soll ich entschuldigen? Daß du deinen beschissenen Witz zum hundertsten Mal erzählst? Oder daß du mich für einen unkultivierten Philister hältst?«
»Pilaster«, sagte ich zerstreut.
»Polyester«, konterte er.
»Entschuldige, daß ich meinen beschissenen Witz – übrigens ist der nicht beschissen – zum hundertsten Mal wiederholt hab. Ich entschuldige mich aber nicht dafür, daß ich den Eindruck erweckt haben könnte, du wärest nicht besonders intelligent. Sieh dir doch nur die Frauen an, mit denen du rumziehst!«
»Na hör mal!« blaffte er mich an. Ich sah ihn beunruhigt an – es klang, als wäre er wirklich ärgerlich. Dann lachte er und schüttelte ungläubig den Kopf.
»Lucy Sullivan, ich laß dir soviel durchgehen. Ich versteh selbst nicht, warum ich dich nicht längst umgebracht habe.«
»Ich auch nicht«, sagte ich nachdenklich. »Ich behandele dich wirklich nicht besonders freundlich. Dabei meine ich das gar nicht so. Ich halte dich eigentlich nicht für richtig blöd. Allerdings bin ich überzeugt, daß du einen abscheulichen Geschmack bei Frauen hast und sie furchtbar schlecht
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