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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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wie vor im Halbschlaf, ob das ein Alptraum war. Es war noch nicht einmal acht Uhr.
    So benommen war ich gewesen, daß mir nicht eingefallen war, mich vor die Tür zu werfen, um ihn am Gehen zu hindern. Als mir der Gedanke nachträglich kam, war ich nicht dankbar, sondern wütend.
    Irgendwie schaffte ich es bis ins Büro, leistete dort allerdings nicht viel. Ich kam mir wie jemand vor, der unter Wasser watet – alles war gedämpft, undeutlich, geschah wie in Zeitlupe. Stimmen drangen von weit her zu mir und klangen verzerrt. Ich konnte sie nicht wirklich hören und mich nicht auf das konzentrieren, was sie von mir wollten.
    Mit quälender Langsamkeit schlich der Tag dem Feierabend entgegen.
    Hin und wieder konnte ich einen klaren Gedanken fassen. Das war dann einerseits so, als bräche die Sonne durch die Wolken, zugleich aber schlugen die Wogen der Panik in solchen Augenblicken über mir zusammen. Was tue ich nur, wenn er nicht kommt? fragte ich mich voll Entsetzen.
    Er muß kommen, sagte ich mir verzweifelt vor. Ich mußte mit ihm sprechen, in Erfahrung bringen, was nicht in Ordnung war.
    Am schlimmsten war, daß ich niemandem im Büro sagen konnte, was mir fehlte. Gus verließ ja nicht nur mich, sondern auch Jed, Meredia und Megan, und ich fürchtete, sie würden verletzt sein. Außerdem hatte ich Angst, daß sie die Schuld bei mir suchen würden.
    Benommen verbrachte ich den Tag wie unter einer Käseglocke. Man erwartete von mir, daß ich Kunden anrief und ihnen drohte, daß wir sie verklagen würden, wenn sie nicht bald zahlten, dabei befand ich mich in einer anderen Welt, in der nichts zählte außer Gus.
    Warum meint er, daß die Sache zu ernst geworden ist? fragte ich mich – davon abgesehen, daß es sich tatsächlich so verhielt. Doch was war daran seiner Ansicht nach nicht in Ordnung?
    Ich bemühte mich, meine Arbeit zu tun, aber sie war mir eigentlich egal. Wen kümmerte es, daß die Firma Heißer Reifen das ihr eingeräumte Zahlungsziel von zwanzig Tagen um etwa zwei Jahre überschritten hatte? Mir war das alles herzlich gleichgültig. Ich mußte mich um wichtigere und bedeutendere Dinge kümmern. Was für eine Rolle spielte es, daß die Firma Felge und Speiche bankrott gemacht hatte und uns noch Tausende von Pfund schuldete? Was war das, verglichen mit meiner Herzensqual?
    Die Sinnlosigkeit meiner Arbeit wurde mir immer besonders bewußt, wenn ich Liebeskummer hatte. In einer solchen Situation neigte ich zum Nihilismus.
    Ich quälte mich durch die Anrufe. Während ich halbherzig Kunden androhte, sie zu verklagen und vor Gericht jeden Pfennig aus ihnen herauszuholen, den sie besaßen, dachte ich: »In hundert Jahren ist das alles einerlei.«
    Mehrere Jahrtausende später schleppte sich der Tag endlich seinem Ende entgegen.
    Um fünf Uhr war Gus nicht gekommen. Verzweifelt wartete ich bis halb sieben, weil ich nicht wußte, was ich mit mir selbst, meiner Zeit und meinem Leben anstellen sollte.
    Ich hatte gar keine andere Möglichkeit, als auf ihn zu warten. Aber er kam nicht. Natürlich nicht.
    Noch während ich überlegte, was ich als nächstes tun würde, verdichtete sich eine verschwommene Vorstellung, die verhängnisvoll im Hintergrund meines Bewußtseins gelauert hatte, zu angstvoller Gewißheit: ich wußte nicht, wo Gus wohnte.
    Wenn er nicht kam, konnte ich auch nicht zu ihm gehen. Ich besaß weder seine Telefonnummer noch seine Adresse.
    Er hatte mich nie mit zu sich genommen. Was auch immer wir gemacht hatten – ob schlafen, fernsehen oder bumsen –, war in meiner Wohnung geschehen. Ich hatte gewußt, daß es nicht richtig war, aber jeden Vorschlag, zu ihm zu gehen, hatte er mit den aberwitzigsten Ausflüchten abgewimmelt. Sie waren so lachhaft gewesen, daß mir nachträglich graute, wenn ich daran dachte, wie bedenkenlos ich sie hingenommen hatte.
    Ich hätte nicht so nachgiebig sein dürfen, dachte ich verzweifelt. Ich hätte darauf bestehen müssen. Wäre ich ein wenig anspruchsvoller gewesen, säße ich jetzt nicht so im Schlamassel. Zumindest wüßte ich, wo ich ihn finden könnte.
    Mein Leichtsinn erschien mir unvorstellbar – kannte ich denn überhaupt kein Mißtrauen?
    Während ich darüber nachdachte, fiel mir ein, daß ich durchaus oft mißtrauisch war. Weil es aber die friedliche Oberfläche meines Glücks zu trüben drohte, hatte ich es weggeschoben.
    Ich hatte Gus eine Menge durchgehen lassen, immer mit der alles verzeihenden Erklärung, er sei etwas Besonderes und ein

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