Lucy Sullivan wird heiraten
recht, Lucy«, stimmte mein Vater trübselig zu. »Hast recht.«
»Bist du sicher, Lucy?« fragte Daniel ganz ruhig.
»Fang du nicht auch noch an«, zischte ich ihm leise zu. »Seine Frau hat ihn gerade verlassen, da gönn ihm ruhig ’nen Schluck.«
»Beruhige dich, Lucy«, sagte er, hob eine leere Whiskeyflasche vom Boden neben dem Sessel meines Vaters auf und warf sie mir zu. »Ich will ja nur nicht, daß du den Mann umbringst.«
»Noch eine kann ihm nicht schaden«, sagte ich entschlossen.
Mit einem Mal taten mein Vater und ich mir schrecklich leid. Bevor ich wußte, was passierte, bekam ich einen kleinen Koller. »Verdammt noch mal, Daniel«, kreischte ich. Dann stapfte ich aus der Küche und schlug die Tür hinter mir zu.
Ich ging ins Wohnzimmer und warf mich in meinem Wutanfall auf das Sofa mit dem Cordsamtbezug. Diese »gute Stube« wurde nur benutzt, wenn Besuch kam. Da wir aber nie viel Besuch hatten, waren die Möbel noch fast so ungebraucht wie 1973, als meine Eltern sie angeschafft hatten. Man kam sich darin vor wie auf einer Zeitreise.
Während ich auf dem guten Stück saß und weinte, fand ich es zugleich gewagt, das Möbel zu entweihen, auf dem sonst nur Priester und Besucher aus Irland sitzen durften. Nach wenigen Augenblicken kam Daniel herein, was ich mir schon gedacht hatte.
»Hast du ihm was zu trinken gegeben?« fragte ich ihn anklagend.
»Ja«, sagte er und kam um den Couchtisch mit der Rauchglasplatte herum. Er setzte sich zu mir und legte den Arm um mich, ganz, wie ich es mir gedacht hatte. So etwas konnte Daniel gut, er war umgänglich und berechenbar, und ich konnte mich stets darauf verlassen, daß er das Richtige tat.
Dann zog er mich auf seinen Schoß, die eine Hand um meine Schultern gelegt und die andere unter meinen Knien. Damit hatte ich nicht gerechnet, ließ es mir aber gern gefallen. Streicheleinheiten waren genau das, was ich jetzt brauchte.
Ich drängte mich an ihn und weinte ein bißchen mehr. Bei Daniel konnte man sich gut ausweinen, denn in seiner Anwesenheit fühlte man sich beschützt und geborgen. Den Kopf an seiner Schulter, ließ ich meinen Tränen freien Lauf, während er mir sacht über das Haar strich und tröstend sagte: »Ganz ruhig, Lucy, weine nicht.« Es war sehr schön.
Er roch gut – meine Nase lag dicht an seinem Hals und sein männlicher und angenehmer Geruch überwältigte mich.
Eigentlich ganz stimulierend, merkte ich überrascht – jedenfalls wäre es das gewesen, wenn es nicht Daniel gewesen hätte.
Wie er wohl schmeckt? mußte ich unwillkürlich denken. Wahrscheinlich großartig. Ich war ihm so nahe, daß ich nur die Zunge hätte herauszustrecken brauchen, um damit die glatte Haut seines Halses zu berühren.
Ich riß mich zusammen. Ich konnte ja nicht einfach hergehen und Männer abschlecken, nicht einmal Daniel.
Er strich mir weiter mit der einen Hand über das Haar, während er mir mit der anderen über den Nacken fuhr, wo er mit Daumen und Zeigefinger merkwürdige Dinge trieb. Seufzend drängte ich mich völlig entspannt dichter an ihn. Es war wunderbar und tat mir richtig gut.
Hmm, dachte ich und erschauerte wohlig. Wohlig und irgendwie ...
Mit einem Mal merkte ich, daß ich nicht mehr weinte. Voll Schreck wurde mir klar, daß ich mich sofort aus Daniels Armen lösen mußte, denn ich durfte mich nur dann an einen Mann drängen, wenn ich mit ihm eine Beziehung hatte oder wenn einer den anderen trösten mußte. Da bei Daniel keins von beiden der Fall war, lag ich unter falschen Voraussetzungen in seinen Armen. Mein Vertrag war mit dem Ende meines Weinens abgelaufen.
In der Hoffnung, er werde mich nicht für undankbar halten, versuchte ich, mich von ihm loszureißen.
Sein Gesicht dicht an meinem, lächelte er mir zu, als wüßte er etwas, das ich nicht wußte. Oder vielleicht etwas, das ich hätte wissen müssen.
Manchmal geht mir sein geradezu sprichwörtliches gutes Aussehen wirklich auf die Nerven, dachte ich verärgert. Seine Zähne sahen auf jeden Fall weißer aus als gewöhnlich. Er war wohl gerade beim Zahnarzt gewesen. Auch das ärgerte mich.
Mir war heiß und unbehaglich, ohne daß ich so recht gewußt hätte, warum. Vielleicht, weil wir am peinlichen Schluß eines Gefühlsausbruchs angelangt waren. Der alles mitreißende Strom von Glück oder Elend war versiegt, und damit war Händchenhalten, Umarmung oder Tränenvergießen, oder was auch immer, mit einem Mal entsetzlich peinlich. Wahrscheinlich hatte ich deshalb das
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