Lucy Sullivan wird heiraten
wohltätigen Einrichtungen Londons vergeben sein mußten, als Hetty gemerkt hatte, daß sie sich langweilte und ein bißchen Abwechslung brauchte. Also hatte sie ihre Ansprüche ein bißchen zurückgeschraubt und war statt dessen in unser Büro gekommen.
Die Arbeit dort hatte durchaus Ähnlichkeit mit der in einer wohltätigen Einrichtung. Weil unsere Gehälter so lächerlich niedrig waren, sagten Meredia und ich oft im Scherz, daß die Arbeit für die Firma Metall- und Kunststoff-Großhandel dasselbe sei wie die ehrenamtliche Tätigkeit für eine wohltätige Einrichtung.
Der Tag nahm seinen Lauf. Wir erledigten unsere Arbeit – mehr oder weniger.
Kein Wort fiel mehr über Mrs. Nolan, den Traummann, zu erwartendes Geld, darüber, daß etwas auseinanderging, und auch nicht über meine Heirat.
Später rief meine Mutter an. Vermutlich hatte es eine Katastrophe gegeben, denn sie rief nie an, um zu plaudern, einfach über dies und jenes zu reden und die Zeit meines Arbeitgebers sinnlos zu vergeuden. Sie rief ausschließlich an, wenn es Katastrophen zu verkünden gab. Am liebsten waren ihr Todesfälle, aber sie gab sich auch mit vielem anderen zufrieden. Ihr genügte beispielsweise die Möglichkeit, daß in der Firma, in der mein Bruder arbeitete, Personal eingespart wurde, ein Knötchen in der Schilddrüse meines Onkels, eine abgebrannte Scheune in Monaghan oder die Schwangerschaft einer unverheirateten Cousine (neben Unfalltod im Räderwerk eines Mähdreschers eins ihrer Lieblingsthemen).
»Du kennst doch Maisie Patterson?« fragte sie aufgeregt.
»Natürlich«, sagte ich, während ich überlegte, was für eine Maisie das sein mochte. Ich dachte nicht im Traum daran, meine Unwissenheit zuzugeben, denn dann hätte sie mir den ganzen Tag lang Maisie Pattersons Stammbaum erklärt. (»Sie ist eine geborene Finertan... natürlich kennst du die Finertans, weißt du nicht mehr, wie ich dich als kleines Mädchen mit zu ihnen genommen habe? Sie wohnen in einem schönen großen Haus mit einem grünen Tor, gleich hinter dem Haus der Nealons. Die Nealons kennst du doch, weißt du noch, wie Bridie Nealon dir zwei Mandelmakronen geschenkt hat? Bestimmt erinnerst du dich noch, daß du damals ganz verrückt nach Mandelmakronen warst...«)
»Nun...« sagte meine Mutter, im Versuch, Spannung zu erzeugen. Es lag auf der Hand, daß Maisie Patterson das Zeitliche gesegnet hatte, aber diese einfache Mitteilung genügte meiner Mutter nicht.
»Ja«, sagte ich geduldig.
»Man hat sie gestern beerdigt!« stieß sie schließlich hervor.
»Warum denn das?« fragte ich freundlich. »Hat sie ihre Leute geärgert? Wann läßt man sie wieder raus?«
»Ach, du mußt ja alles ins Lächerliche ziehen«, sagte meine Mutter, die sich ärgerte, daß ich ihre Neuigkeit nicht mit ungläubigem Staunen aufgenommen hatte. »Du solltest ihnen eine Beileidskarte schicken.«
»Wie ist es passiert?« fragte ich, in der Hoffnung, sie aufzumuntern. »Ist sie mit dem Kopf in den Mähdrescher gekommen? Im Getreidesilo erstickt? Oder hat ein Huhn sie massakriert?«
»Keins von alldem«, sagte sie ärgerlich. »Sei bitte nicht albern. Du weißt ja wohl, daß sie all die Jahre in Chicago gelebt hat.«
»Ach ja... stimmt.«
»Es war schrecklich traurig«, sagte sie und nahm ihre Stimme pietätvoll um mehrere Dezibel zurück. Dann berichtete sie mir in der nächsten Viertelstunde Maisie Pattersons Krankengeschichte. Ihre geheimnisvollen Kopfschmerzen, die Brille, die sie gegen den Kopfschmerz verschrieben bekam, die Computertomographie, der man sie unterzog, als die Brille nichts nützte, die Bestrahlung, die Medikamente, die Aufenthalte im Krankenhaus, in deren Verlauf Spezialisten, die nicht wußten, was sie davon halten sollten, an und in ihr herumstocherten, bis man sie schließlich für gesund erklärte, und dann der rote Toyota, der sie angefahren hatte, wobei sie einen Milzriß bekam und ins Jenseits katapultiert wurde.
8
D er Donnerstag begann schlecht und wurde immer schlimmer.
Als ich aufwachte und mich elend fühlte, konnte ich noch nicht wissen, daß sich die Megan gemachte »Voraussage« an jenem Tag »erfüllen« sollte. Hätte ich es gewußt, wäre mir das Aufstehen möglicherweise leichter gefallen.
So aber war bis zum Schluß unklar, ob ich es schaffen würde, mich aus der warmen und liebevollen Umarmung des Daunenbettes zu befreien.
Morgens aufzustehen fiel mir immer schwer – es war eine der Hinterlassenschaften der
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