Lucy Sullivan wird heiraten
sich eine Frau vom Umfang eines Elefanten nicht auch noch unterbringen.
Meredia aber entmutigte das überhaupt nicht. Sie wollte ein Taxi nehmen und uns am Krankenhaus treffen.
Während der Krankenwagen anfuhr, kam ich mir ein wenig vor wie ein Popstar – wahrscheinlich wegen der getönten Scheiben und der paar Schaulustigen, die uns nachsahen.
Sie gingen nur zögernd weiter. Wahrscheinlich kosteten sie die mit dem Unfall verbundene Erregung bis zur Neige aus, bevor sie in ihr eigenes Leben zurückkehrten, enttäuscht, weil das Drama vorüber und noch mehr enttäuscht, weil dabei niemand ums Leben gekommen war.
»Er scheint ja noch ganz gut beisammen zu sein, oder?« sagte einer von ihnen zum anderen.
»Ja«, kam die mürrische Antwort.
Vier Stunden lang saßen wir auf harten Stühlen in der überfüllten Notaufnahme, wo überarbeitete Schwestern herumhetzten. Auch Menschen mit weit schlimmeren Verletzungen als Megan oder Shane (so hieß der Radfahrer – mittlerweile kannten wir einander alle ziemlich gut) saßen da und warteten, ihre abgetrennten Gliedmaßen, die sie hatten in Sicherheit bringen können, auf dem Schoß. Sterbende wurden mit atemberaubender Geschwindigkeit auf Tragen an uns vorübergeschoben. Niemand schien uns sagen zu können, was vor sich ging oder wann sich jemand um Megan oder Shane kümmern würde. Der Kaffeeautomat funktionierte nicht. Der Imbißstand war geschlossen. Es war bitter kalt.
»Wenn ich daran denke, daß wir jetzt im Büro säßen...« Selig schloß ich die Augen.
»Ja«, seufzte Megan. »Da haben wir aber Glück gehabt, was?« Während sie sprach, bröckelte ihr eine Blutkruste vom Gesicht.
»Großer Gott.« Ich lächelte. »Heute morgen ging es mir so elend. Hätte ich doch nur gewußt, was für eine Überraschung der Tag für mich bereithielt.«
»Ich hoffe, daß sich bald jemand um mich kümmert«, sagte Shane besorgt und mit verwirrtem Blick. »Die warten nämlich dringend auf die Papiere hier. Hat jemand mein Funkgerät gesehen?«
Er war ein Fahrradkurier, der auf dem Weg zu einem Kunden ins Schleudern gekommen und auf Megan gelandet war.
Er nickte immer wieder ein, fuhr ruckartig hoch und fing wieder von seinen dringenden Dokumenten an. Megan und ich tauschten leidende Blicke, als er zum dutzendsten Mal dieselbe Geschichte erzählte, während Meredia ihm zulächelte wie einem süßen kleinen Kind. Irgendwann kam uns der Gedanke, daß er vielleicht nicht geistesgestört war, sondern eine Gehirnerschütterung hatte.
Abgesehen von Shanes regelmäßigen Ausbrüchen verlief die Unterhaltung träge.
»Sieh es mal positiv«, lächelte ich Megan zu und wies auf ihren verletzten Mund. »Jetzt ist bei dir was auseinandergegangen, ganz wie vorhergesagt. Allerdings möchte ich wetten, daß du dabei nicht an eine Lippe gedacht hast.«
Mit einem Mal fuhr Meredia hoch, als hätte sie einen Schuß in den Rücken bekommen. Dabei packte sie mich so fest am Handgelenk, daß sich ihre Nägel tief in meine Haut gruben.
»Großer Gott«, zischte sie und sah starr vor sich hin, wobei ihre Augen sonderbar glänzten. Das Wort, das mir fehlte, war ›wahnsinnig‹. Ein wahnsinniger Glanz lag in ihren Augen.
»Sie hat recht!« sagte sie mit nach wie vor zischender Stimme, den Blick weiter unbestimmt vor sich gerichtet. »Mein Gott, sie hat recht.«
»Ich habe einen Namen«, sagte ich. Ihr albernes Getue ging mir auf die Nerven. Außerdem schmerzte mein Handgelenk.
»He, du hast recht«, sagte Megan und begann zu lachen. »Au!« entfuhr es ihr. Durch das Lachen hatte ihr Gesicht wieder zu bluten angefangen.
»Auseinandergegangen«, fuhr sie fort und lachte noch mehr, so daß ihr das Blut wie ein Wasserfall über das Gesicht lief. »Ja, bei mir ist was auseinandergegangen. Ganz wie Mrs. Nolan gesagt hat. Allerdings kann ich nicht sehen, was daran gut sein soll.«
»Das zeigt sich vielleicht erst im Lauf der Zeit«, sagte Meredia mit geheimnisvoller Stimme und sah unauffällig zu Shane hin, während sie Megan bedeutungsvoll zuzwinkerte und mit dem Kopf erneut auf ihn wies.
»Wenn du weißt, was ich meine...« fuhr Meredia mit nachdrücklicher Betonung fort.
»Ja, möglich«, lachte Megan fröhlich.
Mir war nicht klar, ob Meredia Shane für sich haben wollte oder ihn Megan zugedacht hatte, aber nach früheren Erfahrungen zu urteilen, hatte sie ihn für sich selbst ausersehen. Die ganze Situation war typisch für sie.
Von Rechts wegen allerdings stand er Megan zu. Hatte
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