Lucy Sullivan wird heiraten
verlegen und mürrisch. Ich versuchte es mit einem gemeinen Blick, hatte aber auch damit kein Glück. Ich konnte sehen, daß er es ernst meinte.
»Ich will dir nicht weh tun, Lucy«, sagte er, »also laß mich dir bitte helfen.« Anstandshalber muß ich sagen, daß es so klang, als machte er sich wirklich Sorgen um mich.
Seufzend gab ich nach. »Na schön, du verdammter Schweinehund, dann hilf mir schon.«
»Dein schlechtes Gewissen wird vermutlich nachlassen, aber nie vollständig aufhören. Du mußt lernen, damit zu leben.«
»Aber das will ich nicht.«
»Das ist mir klar, aber du mußt. Du kannst nicht einfach das Leben bis zu irgendeinem fernen Zeitpunkt in der Zukunft aufschieben, wenn du kein schlechtes Gewissen mehr hast – vielleicht wird das nie der Fall sein.« Damit war ich bis dahin eigentlich ganz gut zurechtgekommen.
»Du bist wie die Kleine Seejungfrau«, sagte er, mit einem Mal das Thema wechselnd.
»Tatsächlich?« Ich strahlte vor Vergnügen. Das gefiel mir schon besser. Außerdem war mein Haar tatsächlich lang und gelockt, da hatte er schon recht.
»Sie mußte die Qual leiden, wie auf Messerklingen zu gehen. Das war der Preis dafür, daß sie an Land leben durfte. Auch du hast einen solchen Handel abgeschlossen – du hast mit einem schlechten Gewissen für deine Freiheit bezahlt.«
»Oh.« Kein Wort über mein Haar.
»Du bist ein guter Mensch. Du hast nichts Unrechtes getan und hast ein Recht auf ein schönes Leben«, erklärte er. »Denk mal drüber nach, mehr verlange ich gar nicht.«
Also dachte ich darüber nach. Immer wieder. Und noch einmal. Ich rauchte eine Zigarette und dachte darüber nach. Ich trank meinen Gin Tonic und dachte darüber nach. Während Daniel zum Tresen ging, um mir noch einen Gin Tonic zu holen, dachte ich darüber nach. Und am Ende fing ich an zu reden.
»Ich hab darüber nachgedacht. Vielleicht hast du recht. Vielleicht ist es Zeit, daß ich weitermache.«
In Wahrheit begann mich wahrscheinlich dieses Übermaß an Elend pur zu langweilen. Womöglich langweilte es mich allmählich, daß ich mich so in mein Leid hineinsteigerte. Trotzdem hätte ich unter Umständen noch lange so weitergemacht – wahrscheinlich Jahre –, wenn Daniel es nicht angesprochen hätte.
»Wunderbar, Lucy.« Er war begeistert. »Wenn ich schon mal dabei bin, gemein zu dir zu sein, könntest du vielleicht auch mal darüber nachdenken, ob du nicht deine Mutter besuchen solltest.«
»Was bist du eigentlich?« fragte ich ihn scharf. »Mein verdammtes Gewissen?«
»Jetzt, wo du sowieso schon sauer auf mich bist«, grinste er, »kann ich dir auch gleich sagen, daß du dir nicht länger Beleidigungen von deinem Vater anhören solltest. Schluß mit der Selbstbestrafung. Du hast der Gesellschaft gegenüber deine Schuld getilgt, und dein Tun ist gesühnt.«
»Das laß mich selbst beurteilen«, sagte ich ärgerlich. ›Schluß mit der Selbstbestrafung‹ – das hätte ihm so passen können! Da merkte man, daß er nicht als Katholik aufgewachsen war. Ich könnte ein Leben, bei dem es nicht um eine Menge Selbstkasteiung geht, nicht einmal in Erwägung ziehen, geschweige denn führen.
Doch als ich darüber nachdachte, fand ich die Vorstellung nicht schlecht, die Zügel ein wenig schleifen zu lassen. Sie war sogar ausgesprochen angenehm. Während ich noch schwankte, sagte Daniel etwas, das für mich alles änderte: »Weißt du, wenn du ein so schrecklich schlechtes Gewissen hast, kannst du jederzeit zu deinem Vater zurückgehen.«
Die bloße Vorstellung entsetzte mich. Das würde ich auf keinen Fall tun. Nie. Erst in dem Augenblick begriff ich, was Daniel gemeint hatte. Ich hatte mich für die Freiheit entschieden, weil ich frei sein wollte. Wenn ich aber die Freiheit schon besaß, konnte ich mich ihrer auch ebensogut bedienen. Ich sah ihn an, während mir das alles dämmerte.
»Weiß Gott, du hast recht«, sagte ich matt. »Das Leben ist dazu da, daß man lebt.«
»Meine Güte, Lucy.« Er klang erschrocken. »Das ist doch kein Grund, jetzt klischeehaft zu werden.«
»Mistkerl«, sagte ich mit einem Lächeln.
»Du kannst nicht für alle Zeiten in Angst leben«, fuhr er fort, wobei er meine gute Laune ausnutzte. »Du kannst dich weder vor deinen Gefühle noch vor anderen Menschen verstecken.«
Er ließ eine Pause eintreten, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen. »Lucy, du kannst dich nicht vor den Männern verstecken.«
Das ging zu weit. Es sah so aus, als sollte ich den
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