Lucy Sullivan wird heiraten
nicht den Eindruck hatte, daß ich dorthin gehörte, sah ich doch zumindest so aus.
Daniel legte mir den Arm leicht um die Taille. »Laß den Blödsinn«, knurrte ich und entwand mich ihm. »Was soll das? Hör auf, mich wie eins von deinen Weibern zu behandeln.«
»Entschuldige«, sagte er. Seine Stimme klang ernst. »Es ist mir zur zweiten Natur geworden. Ich bin in meine Restaurant-Routine verfallen, weil ich eine Sekunde lang nicht daran gedacht hatte, daß du es bist.«
Ich lachte leise. Sogleich fuhr Dmitris Kopf herum. Er funkelte mich mißbilligend an.
»Äh, pardon...« murmelte ich. Ich schämte mich irgendwie, als hätte ich dem Ort nicht genug Achtung erwiesen oder irgendeine Lästerung begangen.
Mit den Worten »Ihr Tisch« wies Dmitri auf eine gewaltige Fläche schneeweißen gestärkten Leinens, auf der Hunderte von Kristallgläsern und mehrere Kilometer blinkenden Tafelsilbers paradierten.
Auch wenn es im Kreml nichts als rohe Steckrüben zu essen geben mochte, bot er doch zumindest eine traumhafte Umgebung zum Verzehr besagter Ackerfrüchte.
»Wirklich hübsch«, sagte ich mit einem Lächeln zu Daniel.
Dann kam es zu einem Tänzchen zwischen mir und Dmitri, weil wir beide versuchten, mir den Stuhl zurechtzurücken. Erst traten wir gleichzeitig von ihm zurück, dann wieder griffen wir gleichzeitig danach.
»Äh, könnten wir wohl was zu trinken bestellen?« sagte Daniel, als wir einander schließlich am riesigen Rund des Tisches gegenübersaßen.
Dmitri stieß einen Seufzer aus, dem zu entnehmen war, daß er ein solches Ansinnen hatte kommen sehen, es für ganz und gar unvernünftig hielt, aber als korrekter und fleißiger Vertreter seines Standes sein Bestes tun würde, ihm nachzukommen.
»Ich werde Ihnen Gregor schicken. Er ist für die Getränke zuständig«, sagte er und zog schleppenden Schrittes ab.
»Aber...« sagte Daniel hinter ihm her. »Großer Gott«, beschwerte er sich, »ich wollte doch bloß ein Glas Wodka bestellen, und jetzt müssen wir uns bestimmt das ganze Weinpalaver anhören.«
Gregor kam sofort und breitete mit melancholischem Lächeln eine Getränkekarte von eindrucksvoller Länge vor uns aus. Sie verzeichnete Wodka aller nur erdenklichen Geschmacksrichtungen.
Das gefiel mir, und ich war fast froh, daß ich gekommen war.
»Mmmmm«, sagte ich ganz aufgeregt. »Wie wär’s mit Erdbeergeschmack? Oder lieber Mango? Oder, nein, warte... schwarze Johannisbeere?«
»Was du willst«, rief mir Daniel vom anderen Ende des Tisches zu. »Such für mich mit aus.«
»In dem Fall könnten wir doch mit Zitronengeschmack anfangen und nach einer Weile vielleicht was anderes probieren«, sagte ich.
Als junges Mädchen hatten mich Cocktailkarten magisch angezogen, und ich hatte jede einzelne Sorte probieren wollen. Am liebsten hätte ich die ganze Liste von oben bis unten durchprobiert, hatte mich aber nicht getraut, weil ich viel zu viel Angst gehabt hatte, davon betrunken zu werden. Vermutlich war mein jetziger Vorschlag hinsichtlich der parfümierten Wodkas einfach die erwachsene Variante dieses Jungmädchentraums. Zwar fürchtete ich immer noch, betrunken zu werden, hatte aber an jenem Abend das Gefühl, damit leben zu können.
»Also Zitrone«, sagte Daniel.
Kaum war Gregor verschwunden, zischte mir Daniel über den Tisch zu: »Komm rüber. Du sitzt viel zu weit weg.«
»Nein«, sagte ich beunruhigt. »Dmitri hat gesagt, daß ich hier sitzen soll.«
»Ja und? Du bist doch nicht in der Schule!«
»Aber ich möchte ihn nicht verstimmen...«
»Lucy, sei nicht so ein Waschlappen und komm her.«
»Nein!«
»Dann komm ich eben zu dir.« Er stand auf, schob seinen Stuhl ein beträchtliches Stück um den Tisch herum und setzte sich mir fast auf den Schoß.
Die beiden bezaubernd aussehenden jungen Paare am Nebentisch machten eine entsetzte Miene, und ich warf ihnen einen bedauernden Blick zu, in dem zu lesen stand, daß ich armes Geschöpf durchaus wisse, was sich gehört und nie im Traum daran dächte, dagegen zu verstoßen, aber dummerweise mit einem solchen Verrückten an einem Tisch säße. Daniel scherte sich nicht darum und sah sehr zufrieden aus.
»Na bitte«, triumphierte er mit einem Lächeln. »Das ist schon viel besser. Jetzt kann ich dich wenigstens sehen.« Dann schob er sein Besteck, seine Gläser und seine Serviette neben meine.
»Bitte, Daniel«, sagte ich und blickte nervös um mich. »Man sieht zu uns her.«
»Wer?« fragte er und drehte sich um. »Ach
Weitere Kostenlose Bücher