Lucy Sullivan wird heiraten
gewesen.
Wir klingelten an der Haustür, aber niemand öffnete.
»Vielleicht ist die Musik zu laut und sie können die Klingel nicht hören«, sagte ich, während wir mit unserem Guinness unter dem Arm bibbernd und erwartungsvoll in der diesigen Nachtluft standen und das Hämmern der Musik und das Gelächter hörten, die hinter der schweren Holztür hervordrangen.
»Laß mich zumindest die Hälfte übernehmen«, sagte ich. Daniel sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
»Wovon redest du?«
»Von dem Taxi. Laß mich zumindest die Hälfte übernehmen.«
»Lucy, manchmal würde ich dir liebend gern eine kleben! Du treibst mich zum...«
»Psst! Da kommt jemand.« Die Tür öffnete sich, und ein junger Mann in gelbem Hemd sah uns mißgelaunt an.
»Kann ich was für euch tun?« fragte er höflich. In derselben Sekunde fiel mir ein, daß ich nicht im entferntesten ahnte, wer die Party gab.
»Äh«, sagte Daniel.
»Hm, John hat uns eingeladen«, murmelte ich.
»Ach so«, sagte Gelbhemd grinsend und war mit einem Schlag viel freundlicher. »Ihr seid also Johns Freunde. Ein verrückter Hund, was?«
»Kann man wohl sagen«, stimmte ich munter zu, den Blick zum Himmel gerichtet. »Total durchgeknallt.«
Das schien das Losungswort zu sein, denn die Tür öffnete sich weit, und wir durften eintreten, um am munteren Treiben im Hause teilzunehmen. Mir wurde flau, als ich sah, wie viele Frauen da waren. Auf jeden Mann kamen etwa tausend, wie das in London bei Parties üblich zu sein scheint. Sie alle musterten Daniel aufmerksam.
»Wer ist dieser John?« fragte mich Daniel flüsternd, während wir in den östrogengeschwängerten Flur vordrangen.
»Hast du es nicht gehört? Ein verrückter Hund.«
»Schon. Aber wer ist er?«
»Keine Ahnung«, flüsterte ich verstohlen zurück, wobei ich darauf achtete, daß uns Gelbhemd nicht hören konnte. »Ich hab einfach angenommen, daß mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein John entweder hier wohnt oder mit den Leuten bekannt ist, die hier wohnen. Ist ja ein ziemlich alltäglicher Name.«
»Mann, du bist wirklich gut«, sagte Daniel bewundernd.
»Ach was«, sagte ich, »du bist nichts gewohnt, weil du immer nur mit dummen Gänsen rumziehst.«
»Da hast du recht«, sagte er nachdenklich. »Warum ich bloß immer auf die reinfalle?«
»Weil sie die einzigen sind, die mit dir was zu tun haben wollen«, sagte ich betont freundlich. Er warf mir einen gekränkten Blick zu. »Du bist sehr gemein zu mir.«
»Nicht die Spur«, sagte ich, »es ist zu deinem Besten. So was zu sagen schmerzt mich mehr als dich.«
»Tatsächlich?«
»Nein.«
»Schade.«
»Komm, schmoll jetzt bloß nicht. Das verdirbt deine männliche Kinnpartie und verscheucht die Frauen.«
Eine muntere und unüberhörbar schottisch gefärbte Stimme, die uns zurief »Na prima, ihr seid gekommen«, unterbrach unseren aufkeimenden Streit. Flammenden Blicks zwängte sich Karen durch das Gedränge junger Leute, die sich mit Bierdosen in der Hand von einem Raum in den anderen schoben. Niederträchtigerweise nahm ich an, sie hätte die Haustür den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen, und hatte sogleich ein schlechtes Gewissen. Daniel anziehend zu finden war schließlich kein Verbrechen, sondern lediglich eine grauenvolle Geschmacksverirrung. Karen sah hinreißend aus. Und sie war ohnehin sein Typ: blond, lebhaft, sinnlich. Wenn sie ihre Trümpfe richtig ausspielte und mit ihrer Intelligenz ein bißchen hinter dem Berg hielt, schätzte ich ihre Aussichten, Daniels nächste Freundin zu werden, als gar nicht schlecht ein. Vor Munterkeit übersprudelnd erzählte sie uns, wie entzückt sie sei, uns zu sehen, und überschwemmte uns mit Fragen, wie ein Gewitterregen das Straßenpflaster. Wie das Restaurant war, wollte sie wissen, das Essen? Ob berühmte Leute dagewesen waren?
Eine Weile war ich so naiv zu glauben, es handele sich um ein wirkliches Gespräch und ich sei daran beteiligt – bis ich merkte, daß Karen meine Berichte über Gregor und Dmitri, die ich so lustig fand, mit eisigem Schweigen quittierte, aber jedesmal in lautes Lachen ausbrach, sobald Daniel den Mund aufmachte. Wann immer mein Blick auf sie fiel, runzelte sie finster und bedeutungsvoll die Brauen. Sie hüpften förmlich zwischen ihrem Haaransatz und den Wangenknochen hin und her. Dann merkte ich, daß sie mit den Lippen unhörbare Worte formte. Ich versuchte sie ihr mit zusammengekniffenen Augen vom Mund abzulesen und zu verstehen,
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