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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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Wohnzimmer, wo es am übermütigsten zuzugehen schien.
    Auf dem Weg dorthin begegnete ich ihm.

18
    I n den folgenden Monaten durchlebte ich die Szene in meinem Kopf so oft noch einmal, daß ich mich bis in die kleinsten Einzelheiten genauestens an alles erinnern konnte.
    Ich schob mich gerade aus der Küche, als ich hörte, wie eine Männerstimme bewundernd sagte: »Sieh an! Ein güldnes Traumbild! Eine Göttin – wahrlich eine Gottheit!«
    Natürlich versuchte ich mit aller Kraft, den Raum zu verlassen, denn neben meinem goldenen Kleid besaß ich auch einen maßgeschneiderten Minderwertigkeitskomplex und kam daher keine Sekunde lang auf den Gedanken, daß der Vergleich mit der Göttin mir gelten könnte.
    »Und es ist nicht irgendeine Göttin«, fuhr die Stimme fort, »sondern meine Lieblingsgöttin, eine Guinness-Göttin.«
    Der Hinweis auf das Guinness durchbrach meine Bescheidenheitsschwelle, und so wandte ich mich um und sah einen jungen Mann eingezwängt zwischen Wand und Kühltruhe stehen. Daran war eigentlich nichts Ungewöhnliches, denn immerhin war es eine Party, und da der Raum gesteckt voller Menschen war, lehnten auch ein paar Männer an Haushaltsgeräten.
    Der junge Mann – sein Alter ließ sich schwer schätzen – sah sehr gut aus. Er hatte längere schwarze Locken, leicht blutunterlaufene grüne Augen und lächelte mich auf eine Weise an, als ob wir miteinander bekannt wären – was mir gerade recht war.
    »Hallo«, sagte er mit freundlichem Lächeln. Während sich unsere Blicke begegneten, hatte ich ein ganz merkwürdiges Gefühl. Es kam mir ganz so vor, als ob auch ich ihn kannte. Ich starrte ihn an und konnte den Blick nicht von ihm wenden, obwohl ich genau wußte, daß sich das nicht gehört. Ein Gefühl der Verwirrung trieb mir die Röte ins Gesicht, und zugleich erfüllte mich eine merkwürdige Unruhe. Obwohl ich sicher war, daß wir einander nie im Leben begegnet waren, war mir klar, daß ich ihn irgendwie kannte. Ich weiß nicht, was es war, aber irgend etwas an ihm kam mir äußerst bekannt und geradezu vertraut vor.
    »Wo hast du nur so lange gesteckt?« fragte er munter. »Ich warte schon die ganze Zeit auf dich.«
    »Tatsächlich?« fragte ich und schluckte nervös. In meinem Kopf drehte sich alles. Was passiert da? fragte ich mich. Wer ist das? Woher dies blitzartige Erkennen zwischen uns?
    »Na klar«, sagte er. »Ich hab mir ’ne schöne Frau mit ’ner Dose Guinness gewünscht, und jetzt bist du da.«
    »Ah ja.«
    Eine Pause trat ein, während der er sich freudestrahlend und gut gelaunt wieder an die Wand lehnte – das Urbild der Entspanntheit. Allerdings hatte er einen leicht verschwommenen Blick. Er schien an unserer Unterhaltung nichts Besonderes zu finden.
    »Wartest du schon lange?« fragte ich ihn. Sonderbarerweise kam mir die Frage völlig normal vor, so wie man einen Unbekannten an der Bushaltestelle fragt.
    »Fast neunhundert Jahre«, sagte er mit einem Seufzer.
    »Was, neunhundert Jahre?« fragte ich und hob eine Braue. »Aber vor neunhundert Jahren gab es doch noch gar kein Guinness in Dosen.«
    »Eben«, sagte er. »Meine Rede! Weiß Gott, wie ich das bedauert hab. Ich mußte darauf warten, daß sie die Dinger erfanden. Gott, war das langweilig! Wenn ich nichts als ein Horn voll Met oder einen Humpen mit Schankbier hätte haben wollen, hätte ich uns beiden einen Haufen Ärger sparen können.«
    »Und du bist schon die ganze Zeit hier?« fragte ich.
    »Die meiste«, antwortete er. »Manchmal war ich auch da« – er wies auf eine Stelle, kaum einen halben Meter neben sich auf dem Fußboden –, »aber meistens hier.«
    Ich lächelte und war ganz hin und weg von ihm und seinem Geplauder. Er war genau die Art Mann, die mir gefiel – weder lahm noch wichtigtuerisch, sondern einfallsreich und witzig. Obendrein sah er wirklich gut aus.
    »Ich warte schon so lange auf dich, daß es mir schwerfällt zu glauben, daß du jetzt endlich da bist. Bist du echt?« fragte er, »oder nur ein Hirngespinst meiner nach Guinness lechzenden Vorstellungskraft?«
    »Ich bin durch und durch echt«, versicherte ich ihm. Dabei war ich meiner Sache selbst nicht sicher, ganz davon abgesehen, daß ich nicht wußte, ob er seinerseits echt war.
    »Ich möchte, daß du echt bist, und du sagst mir, daß du es bist. Aber vielleicht bilde ich mir das alles nur ein, einschließlich deiner Worte, die mir sagen, daß du echt bist. Das ist alles schrecklich verwirrend – kannst du das

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