Lucy Sullivan wird heiraten
verstehen?«
»Und wie«, sagte ich feierlich. Ich war wie verzaubert.
»Kann ich eine Dose Guinness kriegen?« fragte er.
»Ich weiß nicht«, sagte ich etwas besorgt und vergaß einen Augenblick lang meine Verzauberung.
»Neunhundert Jahre«, erinnerte er mich liebenswürdig.
»Schon«, gab ich zurück. »Ich versteh dich ja, aber die Dosen gehören Daniel. Ich will damit sagen, er hat sie bezahlt, und ich wollte ihm gerade eine bringen, aber... ach, was soll’s. Hier, nimm.«
»Donal hat sie vielleicht bezahlt, aber das Schicksal hat sie für mich vorgesehen«, erklärte er mir in vertraulichem Ton – und irgendwie nahm ich ihm das ab.
»Tatsächlich?« fragte ich mit unsicherer Stimme, hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, einfach den übernatürlichen Kräften nachzugeben, die von diesem Mann ausgingen und Daniels Vorhaltungen, daß ich doch wohl einen hätte ausgeben wollen und jetzt sein Guinness verteilen würde.
»Donal wäre wirklich dafür«, fuhr er fort und zog sacht eine Dose unter meinem Arm hervor.
»Daniel«, sagte ich abwesend und ließ den Blick durch die Diele gleiten. Ich sah Karens und Daniels Köpfe dicht beieinander und hatte nicht den Eindruck, als läge ihm gerade an einer Dose Guinness.
»Vielleicht hast du recht«, stimmte ich zu.
»Es gibt nur einen Haken«, sagte er. »Wenn ich mir dich einbilde, bilde ich mir dein Guinness zwangsläufig auch ein, und eingebildetes Guinness ist nicht halb so gut wie echtes.«
Seine Sprechweise war so angenehm, er sprach so sanft und lyrisch – es klang vertraut, aber ich konnte es nicht einordnen.
Er öffnete die Dose und schüttete ihren Inhalt mit einem Zug in sich hinein, während ich zusah. Ich muß sagen, daß er mich beeindruckte. Bis dahin hatte ich erst wenig Männer gesehen, die dazu imstande waren. Wenn ich es recht bedachte, war der einzige, bei dem ich das je gesehen hatte, mein Vater.
Ich war von diesem Kind-Mann entzückt und gefesselt, wer auch immer er sein mochte.
»Hmmm«, sagte er nachdenklich mit einem Blick auf die leere Dose und dann auf mich. »Es war möglicherweise echt, es könnte aber auch eingebildet gewesen sein.«
»Hier«, sagte ich und hielt ihm die zweite Dose hin. »Es ist echt, ich versprech’s.«
»Irgendwie trau ich dir.« Mit diesen Worten nahm er auch diese Dose und wiederholte die Vorstellung.
»Weißt du«, sagte er nachdenklich und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab, »du könntest recht haben. Und wenn das Guinness echt ist, mußt du es auch sein.«
»Ich denk schon, daß ich echt bin«, sagte ich geknickt. »Allerdings bin ich mir da oft nicht ganz sicher.«
»Vermutlich hast du manchmal das Gefühl, unsichtbar zu sein?« fragte er.
Mein Herz tat einen Sprung. Noch niemand, wirklich niemand, hatte mich das je zuvor gefragt, dabei fühlte ich mich während ganzer Abschnitte meines Lebens genau so. Hatte er meine Gedanken gelesen? Ich war wie gebannt. So viel Einfühlung! Jemand verstand mich. Ein mir völlig Unbekannter hatte mir soeben in die Seele geblickt und mein tiefstes Inneres erkannt. Mich überkam ein ungekanntes Hochgefühl, ich war voll Freude und Hoffnung.
»Ja«, sagte ich matt. »Manchmal hab ich das Gefühl, unsichtbar zu sein.«
»Ich weiß«, sagte er.
»Wieso?«
»Einfach so.«
»Ah ja.«
Wir schwiegen. Beide standen wir einfach eine Weile da und sahen einander leise lächelnd an.
»Wie heißt du?« fragte er unvermittelt. »Oder soll ich dich einfach Guinness-Göttin nennen? Wenn es dir recht ist, könnte ich es auch als GG abkürzen. Allerdings würde ich dich dann vielleicht mit einem Pferd verwechseln und auf dich zu setzen versuchen. Aber du siehst irgendwie nicht wie ein Pferd aus, obwohl du schöne Beine hast...« (Hier machte er eine Pause und neigte den Kopf so tief zur Seite, daß er auf der Höhe meiner Knie war.) »Doch, wirklich schöne Beine«, fuhr er fort und richtete sich auf. »Ich bin allerdings nicht sicher, ob du schnell genug laufen könntest, um das Grand-National-Rennen zu gewinnen. Andererseits könntest du unter den ersten dreien sein, es würde sich also möglicherweise lohnen, eine Einlaufwette auf dich abzuschließen. Wir werden das später sehen. Wie heißt du überhaupt?«
»Lucy.«
»So, Lucy« sagte er und sah mich mit seinen leuchtendgrünen, leicht blutunterlaufenen Augen an. »Ein schöner Name für eine schöne Frau.«
Obwohl ich sicher war, daß ich richtig lag, mußte ich ihn unbedingt fragen: »Du bist
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