Luderplatz: Roman (German Edition)
cool aus dem Wagen. Sie spürte Kais Blick auf sich – und sie genoss es.
»Hey«, sagte er.
»Hey«, sagte sie.
»Na?«, sagte Mario. »Was geht?«
»Kegeln.« Kai grinste.
»Kegeln?!«
Man konnte Viktorias Enttäuschung hören. Doch Kai ließ sich nicht beirren. »Ihr seid eingeladen. Als Gastkegler.«
»Gastkegler?!« Viktoria hatte mit allem gerechnet. Damit, dass Kai sie abfahren ließ, ohne sich von ihr zu verabschieden, genauso wie mit einem romantischen Abendessen zu zweit. Welche dieser beiden Varianten sie schlimmer gefunden hätte, konnte sie nicht sagen. Denn auch wenn eine Heimreise ohne Abschied nicht wirklich schön war, war für sie die Vorstellung eines perfekten Dinners fast noch bedrückender. Viktorias Puls schnellte bei jeder Kochsendung, in die sie versehentlich beim nächtlichen Herumzappen geriet, sofort bedrohlich in die Höhe, und geradezu beleidigt war sie, wenn in romantischen Liebesfilmen – egal ob in Hamburg-Altona, Berlin-Mitte oder Hollywood gedreht – wieder einer der beiden Liebenden besonders toll kochen oder extrem kreativ backen konnte. Die dämliche Botschaft dahinter: Essen ist Genuss, Genuss ist Leidenschaft, also ist der, der besonders gut kocht, ein guter Liebhaber. Oder so ähnlich. Statt also wirklich erotische Szenen zu zeigen, verweilte die Kamera auf den zarten Händen der Heldin, wie sie voll Hingabe einen Croissant-Teig kneteten oder individuelle Pralinen bastelten, sie gönnte den Zuschauern die künstlerisch wertvolle Großaufnahme von Gewürzen und Kräutern, an denen der männliche Held mit einem scharfen Messer herumschnitt und sie dann in das exotische Abendessen mischte und dabei der Dame seines Herzens einen Rotweinschwenker reichte. Bäh – Viktoria verdarben solche Szenen einfach nur den Appetit auf jede weitere Film-oder Fernsehminute. Denn spätestens, wenn sich in Szene drei die Backofentür öffnete, war klar, dass die Heldin kurz danach den Helden küssen und am Ende des Films eine total individuelle Bäckerei eröffnen würde, in der sie aber niemals etwas essen dürfte, weil sie sonst zu fett für jede weitere Liebesfilm-rolle wäre. Männer, die auf Märkten herumstromerten, um an Basilikumsträuchern zu schnuppern, schnupperten sicher auch gerne an anderen Dingen, war Viktorias feste Überzeugung. Schon deshalb war das Happy End dieser Kochorgienfilme eine totale Farce. Das galt für den Film. Und für das Leben, fand Viktoria.
Gut also, dass Kai sich nicht zu einem selbst gekochten Menü aufgeschwungen hatte.
Doch eine Einladung zur spießigsten aller spießigen Freizeitveranstaltungen war … Ihr fehlten die Worte. Entsetzlich! Wer will schon kegeln?
Kai steckte den Zigarettenstummel in den Sand des Ascheimers und ließ Viktoria dabei keine Sekunde aus den Augen.
Guter Blick, dachte sie und versank wieder darin.
»Und, habt ihr Lust?«
»Klar.« Mario war begeistert und stürmte zum Eingang.
Viktoria zögerte. »Ich weiß nicht. Hey, kegeln. Ich hätte nicht gedacht, dass du … kegelst …?« Viktoria schaute Kai zweifelnd an.
»Falsch. Wir kegeln. Komm!« Er streckte ihr eine Hand entgegen, sie nahm sie, und so betraten sie den Windfang zum Gasthaus König. Hand in Hand.
An der Theke hatte sich eine kleine Traube von Männern und Frauen in blauen T-Shirts mit leuchtend gelbem Schriftzug auf der Brust gebildet. Bier-Boys stand dort, und Viktoria schluckte entsetzt, als sie sah, dass unter Kais Jacke derselbe blaue T-Shirt-Stoff hervorblitzte.
»Krasse Shirts«, kommentiere Mario die Kleidung der Kegelbrüder und -schwestern und begrüßte Ludger, seinen Würfelfreund und Schützenbruder, der offensichtlich auch einer der Kegler war.
Viktoria schaute sich nach einem Fluchtweg um, doch Kai zog sie mit sich durch den langen Flur, der von der Theke abging und an Saal und Toiletten vorbei zur Kegelbahn führt.
»Bier-Boys?«, zischte Viktoria in Kais Richtung.
»Furchtbarer Name, peinliches T-Shirt – ich weiß.« Kai grinste.
Viktoria stöhnte und ließ sich mitziehen. Gut, dass mich hier niemand sieht, dachte sie und blickte direkt in Marios lachendes Gesicht.
Er kniff verschwörerisch ein Auge zu und flüsterte ihr zu: »Abgefahrene Recherche hier. Wir mitten unter den Ureinwohnern.«
In diesem Moment stieß Ludger die Schwingtür zur Kegelbahn auf, und die Bier-Boys und die Bier-Girls – die aber auch Bier-Boys hießen, weil ein Kegelklub ja nicht zwei Namen haben konnte – setzten sich an einen schmalen Tisch. Von
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