Luderplatz: Roman (German Edition)
er Papiere in seiner Praxis sortierte. Am Samstagmorgen?! Zum x-ten Mal in ihrem Leben nahm sich Viktoria vor, endlich ordentlicher zu werden. Ihre Sachen besser beieinander zu halten und immer, wirklich immer, ihr Ladekabel dabeizuhaben. Und sie musste dringend an ihrer Schönschrift arbeiten. Sie versuchte gerade zu erkennen, ob der Satz, den Frank Metzger am Tag zuvor gesagt hatte und der nun in einer wilden Kritzelei vor ihr lag, lautete: »Wir Rechtsmediziner müssen klar deuten« oder »Wir Rechtsmediziner müssen klar denken«. Sie selbst musste beides. Klarer denken, klarer deuten. Nur noch kurz die Mails checken, ging es ihr deshalb durch den Kopf. Und sie schloss das geöffnete jungfräuliche Dokument mit dem Namen »Knochenjob-Metzger« erst einmal wieder.
Ohne groß nachzudenken, ging sie ins Internet und klickte auf die Favoritenfunktion. Als ihr einfiel, dass hier ja nicht ihre Favoriten, sondern die von Kai eingegeben waren, und sie gerade das kleine Kreuz zum Schließen drücken wollte, sah sie es. Kai Westmark hatte die Seite der Geocacher unter seinen Favoriten abgelegt. Er hatte gar nicht erwähnt, dass er auch einer der Schatzsucher war.
Viktoria öffnete ihren E-Mail-Account – und musste lächeln. Neben den üblichen Schnäppchenangeboten diverser Modefirmen, den Pressemitteilungen der Berliner Gerichte und dem Newsletter einer Journalistenplattform hatte sie eine Nachricht bekommen, die sie wirklich interessierte. In der Betreffzeile stand: Liebesgrüße von Kai .
Na, der ist aber schnell, dachte sie und lehnte sich entspannt zurück. Sie öffnete die Mail.
Doch statt der erwarteten kleinen sehnsuchtsvollen Nachricht von Kai sah sie nur den Hinweis auf einen Fotoanhang. Sie wunderte sich und wartete, dass sich die Bilder öffneten.
Als sie erkannte, was sie sah, schloss sie ihre Augen. Zehn Sekunden später öffnete sie sie wieder. Doch ihre Hoffnung, ihre Netzhaut hätte etwas Falsches an ihr Hirn gesendet, wurde nicht bestätigt.
Die Bilder zeigten einen geschundenen Frauenkörper. Bild eins zeigte den Abschnitt vom Hals bis zum Schlüsselbein. Am Hals sah man dunkle Verfärbungen, wie Würgemale, auf dem Rücken Blutergüsse. Bild zwei zeigte die Oberschenkel. Wieder Blutergüsse in Dunkelblau und Grünviolett. Einige Schürfwunden. Dann die Hände. An den Handgelenken dunkelrote Verfärbungen, Spuren einer Fesselung. Liebesgrüße von Kai. Was sollte das? Viktoria schaute sich den Absender an. Erst jetzt erkannte sie, dass sie Kais Adresse nur ähnlich war. Die Bilder hatte nicht er geschickt. Sie rieb sich die Schläfen, ging mit dem Cursor auf den Antworten-Button und formulierte im Kopf, was sie dem Absender dieser Abscheulichkeiten schreiben wollte. »Was soll das???!!!« Doch sie ließ es. Man sollte anonyme Perverse ignorieren, dachte sie.
Die Haustür fiel ins Schloss. Kurz danach hörte sie einen Wagen starten. Sie schaute aus dem Küchenfenster und sah, dass ein silberner Nissan Micra von der Einfahrt rollte. Endlich. Kai Westmarks Mutter war weg. Viktoria fuhr den Computer herunter, packte ihr saftloses Netbook ein, zog sich ihre Jacke an und stellte das leere Saftglas in die Spüle. Sie wusch es nicht ab. Schließlich hatte er ihr ja auch kein Frühstück gemacht.
»Ja, genau. Ein extrem niedriger Blutzuckerspiegel.« Frank Metzger nickte Viktoria zu, und als würde er das gerade Gesagte bildlich ad absurdum führen wollen, packte er das dritte Stück Zucker aus dem dünnen Papier und ließ es in seinen Kaffee fallen. Viktoria und Mario starrten sich beide an.
Nana Oppenkamps Augenkammerwasser wies einen extrem niedrigen Zuckerspiegel auf, hatte ihnen Rechtsmediziner Metzger gerade eröffnet. Das habe das Ergebnis der Toxikologie ergeben, das er schon mündlich abgefragt hatte, weil er aus irgendeinem Grund das Gefühl hatte, dass an dieser Leiche etwas seltsam sei. Doch der niedrige Zuckerspiegel muss noch gar nichts bedeuten, so Metzger.
»Wie, gar nichts?« Mario hatte seine Sprachlosigkeit als Erster überwunden.
Metzger rührte in seinem Kaffee und zuckte mit den Schultern. Ihn interessierte die Süße seines Kaffees offensichtlich mehr als das Schicksal der obduzierten jungen Frau. Er blinzelte Viktoria verschwörerisch zu. Sein Blick wanderte zu ihrem ernsten Gesicht, verweilte auf den dunklen Haaren und konzentrierte sich dann wieder auf seine Tasse mit dem süßen schwarzen Kaffee. Er räusperte sich und antwortete.
Man könne bei Nana Oppenkamp die
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