Luderplatz: Roman (German Edition)
jedem Platz aus hatte man die blank polierte Kegelbahn im Auge, am Ende des Tischs war ein kleiner Metallkasten mit Knöpfen installiert, von dem aus man die Kegel heben und senken und verschiedene Spiele einstellen konnte. Eine Plastikblume stand in einer Ecke und sah verwelkt aus, was seltsam war, denn wenn man schon eine künstliche Pflanze aufstellte, sollte die doch wenigstens von Dauer sein, dachte Viktoria und setzte sich etwas unsicher neben Kai.
Sie kannte zwar einige Gesichter in der Runde – Ludger war dabei, Catchi, der Geocacher, nickte ihr zu, ein paar hatte sie schon bei ihrer letzten Schützenfestre cherche getroffen oder an der Theke gesehen, doch niemand machte sich die Mühe, sie den anderen vorzustellen, die sie noch nie gesehen hatten. Keiner schüttelte ihr die Hand, keiner fragte sie etwas, niemand redete übers Wetter. Sie war einfach da – und das war den Kegelbrüdern und -schwestern offensichtlich ziemlich gleichgültig.
Viktoria hörte Gesprächen zu, die sie nicht verstand. Kurze Stichworte wurden gewechselt, die ihr nichts sagten, Namen genannt, die sie nicht kannte. Bei Topphoffs war ein Kaminbrand glimpflich ausgegangen, im Kindergarten Sternenzelt hatten sie einen Wasserschaden, irgendjemand war gestorben und irgendein Baby gerade geboren. Die brauchen hier keine Zeitung, die ihnen die Welt erklärt, dachte Viktoria. Sie erklären sie sich selbst. Dann war sie dran.
Und natürlich war Viktoria komplett kegeluntauglich. Ihre Kugeln knallten laut auf, rollten lahm über die glänzende Bahn oder plumpsten ohne jeden Schwung in die Rille daneben.
»Pumpe«, grölte die ganze Kegeltruppe, und Viktoria lächelte unsicher.
»Deine Beine sind einfach zu lang«, tröstete Mario sie, der sich etwas besser anstellte.
Als sie sich wieder an den Tisch setzte, flüsterte Kai ihr ins Ohr: »Deine Beine sind perfekt.«
Ludger, der Würfelfreund von Mario, erklärte den beiden Gastkeglern geduldig die Regeln jedes Spiels, und seine Freundin erklärte sie dann noch einmal so, dass man sie auch verstand. Harry schaute alle zehn Minuten kurz herein, um Bestellungen aufzunehmen. »Zwölf neue«, war die kurze Antwort. Gemeint war damit: »Jeder Kegler möchte ein neues Bier.« Viktoria trank nicht jedes Glas aus, und nach der dritten Bestellung wagte sie es, die Bestellung zu ändern. »Zwölf neue – minus eine Cola.«
Jedes Mal, wenn sie nach vorn ging und sich eine der Kugeln nahm, spürte sie, dass Kai ihr nachschaute. Jedes Mal, wenn sie zurück zum Tisch ging, sah sie, wie er sie ansah. Ihr war warm. Ums Herz.
Catchi, der Riese, war erstaunlich gut. Er hatte schon dreimal alle neune geworfen, und bei den Spielen Hohe Hausnummern und Lotterie siegte er auch. Sie prostete ihm zu. Er prostete zurück. »Auf die Schatzsucherin aus Berlin!«
Später summte ihr Handy. Sie hatte eine SMS von Minimi bekommen, einem der Schatzsucher, der auf ihre Nachricht auf der Geocacher-Homepage geantwortet hatte. Sie beugte sich quer über den ganzen Tisch und raunte Catchi zu.
»Kennst du Minimi?«
Er schüttelte den Kopf.
»Das ist auch einer oder eine von den Schatzsuchern.« Catchi schaute interessiert. Sie zeigte auf ihr Handy. »Sie oder er hat einen Finger in die Schachtel gelegt.«
Catchi lachte. »Oh, ja, sah total echt aus, das Gummiteil. Hatte schon überlegt, ob ich ihn mir schnappe. Aber das Ticket für die Berliner U-Bahn war irgendwie weniger eklig.«
Viktoria legte das Handy erleichtert auf den Tisch. Wenigstens die Sache mit dem Finger hatte sich aufgeklärt. Ruhe er sanft auf dem Grund der rauschenden Bever.
»Und?« Kai legte seine Hand kurz auf ihr Knie. »Wie gefällt es dir?«
»Es geht so.« Ihre roten Wangen und ihre strahlenden Augen sagten etwas anderes.
»Lügnerin!«, flüsterte er und küsste sie. Ganz kurz nur, ganz sanft, aber einfach so. Vor all den anderen.
Viktoria hielt die Luft an. Was war das hier? Sie rückte ein wenig von Kai ab. Er nahm einen Schluck Bier und schaute geradeaus. Sie rückte wieder näher an ihn heran. Vielleicht zu nah, dachte sie und wusste nicht, ob es richtig war. Aber sie wusste, dass Mario in dieser Nacht das Doppelzimmer wieder allein für sich haben würde. Sie würde mit Kai nach Hause gehen. Hand in Hand.
»Nun sag schon, wie war ’ s?« Charly Berendsen holte Viktoria zurück in die Berliner Gegenwart.
»Super«, sagte sie knapp. »Der Metzger ist unser. Hab ihn klargemacht.«
»Ich wusste doch, dass du ein Luder
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