Luderplatz: Roman (German Edition)
Sind Sie noch da?«
Oh, ja sie war da. Doch sie hörte den Professor nicht mehr. Seine Stimme klang wie aus einer anderen Welt. Kai war Nana Oppenkamps Arzt, dröhnte es in ihrem Kopf. Nana Oppenkamp ist tot.
»Frau Latell, denken Sie an meine Cousine? Sie wissen schon – ich mache mir Sorgen.«
Viktorias Kehle war trocken. Sie hustete kurz und versuchte, sich auf Metzgers Frage zu konzentrieren. Cousine? Ach, die Roses! »Mache ich. Danke. Ich … ja. Ich kümmere mich. Auf Wiederhören, Professor Metzger.« Viktoria ließ den Telefonhörer ganz langsam auf die Gabel gleiten.
»Charly, hast du noch einen Whiskey in deiner Schublade?« Charly Berendsen antwortete nicht, sondern warf ihr eine kleine Flasche Johnny Walker zu.
9. Kapitel
Die Abendkonferenz verlief ohne besondere Vorkommnisse. Chefredakteur Willmers hing in seinem großen Drehstuhl und kritisierte gelangweilt das eigene Blatt und die mal wieder viel zu schlampig gebauten Seiten, die viel zu oberflächlich geschriebenen Artikel und die viel zu lahmen Themen. Dass er selbst für all diese Dinge verantwortlich war, störte ihn nicht weiter. Er motzte gerne – und das wussten alle. Viktorias Rechtsmediziner-Geschichte wurde geschoben, und aus dem Plan, eine mehrteilige Serie daraus zu machen, wurde auch nichts. Ein Porträt sollte reichen. Viktoria war es recht. Sie hatte bis Freitag Zeit, es zu schreiben, mehr als genug. Die Sonntagsausgabe des Express würde dann auf zwei Seiten über den neuen Mann an der Charité berichten. Viktoria bekam zweihundertdreißig Zeilen Platz.
Dass der Rosenkrieg der Roses noch nicht ausrecherchiert war, akzeptierte Willmers zwar nur mit einem Murren, aber er akzeptierte es. Wahrscheinlich hatten ihn die guten Rechtsmediziner-Fotos von Mario und die freizügigen Aufnahmen einer Bezirksbürgermeistergattin, die dem Express exklusiv angeboten worden waren, besänftigt. Auch das war Viktoria recht.
Sie war müde. Das Wochenende steckte ihr in den Knochen. Der Alkohol, die beiden Nächte mit wenig Schlaf und die Erkenntnis, dass Kai Nana Oppenkamp kannte. Sie hatte ihn angerufen, ihn danach gefragt – und er hatte geantwortet. Etwas ungeduldig. Wie s ollte er auch wissen, dass die Tote, die Mario und sie in der Rechtsmedizin gesehen hatten, Nana Oppenkamp war. Sie hatten den Namen ihm gegenüber nicht erwähnt. Und ja, na-türlich kenne er sie. So wie tausend andere Menschen auch, die man eben so kennt. Über Freunde, über Bekannte, oder wie in Nanas Fall über seine Schwester, die mit ihr in dieselbe Klasse auf das Gymnasium in Handorf gegangen war. Und: Nein, er sei nicht ihr behandelnder Arzt gewesen. Das war sein Vater, und dessen Name war es auch, den sie in ihr Adressbuch unter Hausarzt geschrieben hatte. Er selbst habe sie nur einmal auf ihre Diabetes-Symptome angesprochen und ihr gesagt, sie solle damit zum Arzt gehen.
Es war ein lausiges Gespräch gewesen. Doch vielleicht waren Viktorias Erwartungen zu groß, nach den beiden grandiosen Nächten, die sie gehabt hatten. Sie fühlte sich schlecht. Sie wollte nur noch in ihre Dachgeschosswohnung, in ihre Badewanne, in ihr Bett.
Mario rüttelte an ihrer Schulter. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass die Konferenz schon zu Ende war und die Kollegen sich langsam erhoben.
»Neuigkeiten, Victory. Komm!«
»Nein, bitte nicht.« Sie gähnte demonstrativ.
Doch Mario ließ sich nicht abwimmeln. Er schob Viktoria zu ihrem Schreibtisch und knallte einen Stapel Papier vor ihre Tastatur. »Da! Du wurdest bespitzelt.«
»Was?« Viktoria gähnte. »Erzähl keinen Stuss.«
»Doch. Nana Oppenkamp hat dich durchleuchtet.«
»O nein, nicht schon wieder Nana Oppenkamp. Ich will nicht mehr«, jammerte Viktoria.
Mario blieb hart. »Nenn mich Supermario!«, sagte er mit einem strahlenden Lächeln und klopfte auf die Blätter.
Viktoria gab auf und richtete sich auf. »Also gut: Erzähl!«
Mario war schon auf dem Weg nach Hause gewesen, als er Manuel Kolpen, den Schleimer von der Zeitschrift Schlau und Schön, im Foyer des Verlagshauses getroffen hatte. Die beiden Männer nickten sich zu, und Manuel fragte ganz beiläufig: »Und, habt ihr unsere Praktikantin inzwischen irgendwo gesehen?«
Mario verkniff sich die Antwort: »Ja, auf einem Seziertisch.« Stattdessen nickte er traurig und sagte: »Sie ist gestorben.«
Manuel Kolpen blieb stehen. »Was? – Sie ist tot?«
»Ja, ich habe es von einer Freundin von ihr erfahren«, log Mario. Dann hatte er eine Idee. »Sag mal,
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