Ludlum Robert - Covert 01
sich bereits einen Häuserblock von dem Laden mit den gebrauchten Autoreifen entfernt, als sie die erste Gewehrsalve hörte. In der Nähe eines alten, im Schneidersitz auf der Straße sitzenden Bettlers, der ihr bittend eine Hand entgegenstreckte, blieb sie stehen. Während sie den Mann mit leerem Blick ansah, versuchte sie, sich davon zu überzeugen, dass sie nicht in den Laden zurückkehren musste, um herauszufinden, was es mit der Schießerei auf sich hatte.
Aber dann hörte sie erneut Schüsse.
Als sie den Laden verlassen hatte, war ihr Auftrag erledigt.
Sie hatte sich vergewissert, dass der unter einem Decknamen agierende amerikanische Arzt Kontakt aufgenommen hatte, und war danach der Abmachung gemäß gegangen. Ein bewaffneter Angriff war nicht Bestandteil ihres Plans gewesen. Dasselbe galt für den Mann, den sie als den amerikanischen Arzt erkannt hatte. Ihre Nerven waren angespannt. Man mochte ihr ja vieles nachsagen können, aber mit ihren Befehlen ging sie nicht nachlässig um. Auf ihre Arbeit wahr sie sehr stolz und sie war gründlich, verantwortungsbewusst und absolut zuverlässig.
Erneut blickte sie den Bettler an und ließ dann ein paar Dinare in seine Hand fallen. Ihr langer abaya flatterte um ihre Beine herum, als sie so schnell zu dem Reifenladen zurückkehrte, wie es ihr gebeugter Gang zuließ.
In der engen Gasse waren Smith, die Frau und das Baby nur durch die dunklen Schatten geschützt. Jon zog die beiden dicht an die Wand des Schuppens, damit sie nicht so deutlich sichtbar waren. Das Gewehrfeuer in dem Laden übertönte die üblichen Geräusche der Stadt, dennoch lauschte Jon, während er beide Enden der dämmrigen Gasse beobachtete. Er konnte die Umrisse von etwa einem Dutzend Männer der Republikanischen Garde - Saddam Husseins gut bezahlten Killern - erkennen, die mit gezückten Waffen vorsichtig näher kamen.
Trotzdem lächelte er der Frau, die ihn im Mondlicht verängstigt anblickte und schützend das Baby an ihre Brust drückte, beruhigend zu. »Ich bin gleich wieder da«, flüsterte er. Ihm war klar, dass sie ihn nicht verstand, aber vielleicht würde ihr der Klang einer menschlichen Stimme helfen, ihr inneres Gleichgewicht zu wahren.
Mit pochendem Puls zerrte Smith an der Klinke der Tür zu seiner Linken. Sie war verschlossen. Dann versuchte er es mit einer zweiten Tür - wieder Pech.
Die Männer der Republikanischen Garde kamen näher.
Smith kehrte um, schlich an der Frau vorbei und versuchte erfolglos, eine dritte Tür zu öffnen.
Besorgt zog Smith die Frau von dem Reifenladen zum benachbarten Gebäude hinüber und tätschelte dann ihren Arm, bis sie sich niedergekauert hatte. Sie sollten keine leicht zu treffende Zielscheibe abgeben. Smith sah keine Alternative er würde sich ihren Fluchtweg freikämpfen müssen.
Mit vor Anspannung zugeschnürter Brust umklammerte er die Beretta, während er beobachtete, wie die Silhouetten der Männer immer näher kamen. Trotz der kühlen Nachtluft schwitzte er. Im Laden nebenan hatte das Gewehrfeuer aufgehört. Einen Augenblick lang dachte er an Ghassan und hoffte, dass er überlebt hatte. Dann verdrängte er alle Gedanken, die nichts mit der Gefahr zu tun hatten, mit der sie hier in der Gasse konfrontiert waren.
Smith versuchte, sich zu sammeln. Außer den Schritten der sich nähernden Soldaten hörte man keinerlei Geräusche. Er atmete tief durch und bemühte sich, Ruhe zu bewahren. Jetzt erinnerte er sich an Jerzy Domalewskis Warnung, dass es besser wäre, zu schießen und sein Leben zu riskieren, als sich mit der Waffe schnappen zu lassen. Weil aber nicht nur sein Leben, sondern auch das der Frau und des Babys auf dem Spiel standen, musste jeder Schuss sitzen. Sobald die Killer so nahe waren, dass er sie nicht verfehlen konnte, würde er das Feuer eröffnen. Er musste möglichst viele so schnell wie möglich erledigen.
Während er die Beretta hob, wünschte er sehnsüchtig, er hätte mehr Waffen gehabt als nur die eine. In diesem Augenblick begann das Baby durchdringend zu wimmern und zu weinen. Die klagenden Geräusche hallten durch die Gasse, während die Frau das Kind vergeblich zu beruhigen versuchte.
Jetzt wussten die Männer der Republikanischen Garde, wo sie sich befanden, und feuerten. Smith’ Anspannung erreichte ihren Höhepunkt. Kugeln schlugen in die Wand ein und Holzsplitter, spitz wie Nadeln, flogen durch die Luft. Die Frau hob mit vor Angst aufgerissenen Augen den Kopf. Smith glitt vor sie und das schreiende Baby und
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