Lübeck
Puppenbrücke steht rechter Hand nach dem Welcome Center eine lange Halle. Obwohl sie aussieht wie eine modernes Feuerwehrgebäude, handelt es sich um einen unter Denkmalschutz stehenden Zweckbau des Backsteinexpressionismus. Er wurde 1926 im Zuge der 700-Jahr-Feier des Barbarossa-Privilegs errichtet. Erste Planungen gehen auf den Lübecker Senator und Kaufmann Emil Possehl zurück, dessen Stiftung 3,5 Mio. Euro für eine Restaurierung zur Verfügung stellte. Vorher diente die Holstentorhalle kulturellen, sportlichen, aber auch politischen Veranstaltungen. So trat z. B. Willy Brandt vor seiner Emigration nach Norwegen während einer antifaschistischen Aktion als Herbert Frahm ans Rednerpult. Seit 2007 gehört die Holstentorhalle zur Musikhochschule.
Spaziergang 1: Holstentor, St. Petri und Dom
Holstentor
Aus der Ferne sieht es ein wenig wie eine zweidimensionale Attrappe aus â was vielleicht damit zusammenhängt, dass das Wahrzeichen auf der rechten Seite in sich zusammengesunken ist. Diese Neigung nach Westen fiel schon während der Bauarbeiten in den Jahren 1464â78 auf; schuld daran ist der morastige Boden. Damals war das spätgotische Stadttor eines von vier Toren, die Lübeck im Westen gegen Angreifer schützen sollten. Drei Schaukästen auf dem rechten Bürgersteig zeigen, wo sich die anderen Holstentore befunden und wie sie wahrscheinlich ausgesehen haben. 1794, 1808 und 1853/54 riss man sie im Zuge der Entfestigung ab.
Der heute noch existente schwarz-rote Ziegelbau mit den zwei Kegeldächern war das dritte und spektakulärste Tor. 48 SchieÃscharten konnten mit schwerem Geschütz bestückt werden; aus den Fenstern des Mittelbaus sollten Pech und kochendes Wasser geschüttet werden. Die Mauern zur Feldseite haben mit 3,5 m eine enorme Stärke, und die Haken, die man noch immer sieht, waren dazu bestimmt, Sandsäcke daran zu hängen, um das Kanonenfeuer der Eindringlinge zu dämpfen. Zu mehr als einer Trockenübung ist es freilich nie gekommen. Der spätmittelalterliche Trutzbau war das perfekte Bollwerk zur Abschreckung.
Nähert man sich über den Vorplatz, wo man im Sommer auf den Rasenflächen entspannen kann, fällt â neben den Löwen, die genüsslich auf die Schreitende Antilope von Fritz Behn blicken â sofort ein Schriftzug ins Auge: âConcordia Domi Foris Paxâ, âEintracht innen, drauÃen Friedeâ. Er wurde nachträglich eingefügt und beschreibt Lübecks Ideal, sich aus kriegerischen Belangen möglichst herauszuhalten. Ursprünglich befand sich das Motto auf dem ÃuÃeren Holstentor, Wohnhaus des Wallmeisters, der für die Instandhaltung der Fortifikation verantwortlich zeichnete. Während der ersten Restaurierung von 1871 brachte man dann auf der Stadtseite ein falsches Datum an: Nicht 1477, sondern 1478 beendete Hinrich Helmstede seine architektonische Meisterleistung.
42 zu 41 â Abstimmung über ein Wahrzeichen
Mit gerade einmal einer Stimme Mehrheit (42 : 41) entschied sich der Senat gegen den Abriss des âSymbols alter Macht und Herrlichkeitâ. Dieser Abstimmung war 1855 eine Eingabe von 683 Bürgern an den Senat vorangegangen: Man solle das letzte und einsturzgefährdete der vier Tore doch endlich abreiÃen ⦠Kurzerhand gründete sich eine Bürgerinitiative zur Wiederherstellung, Geschichtsvereine aus dem ganzen Reichsgebiet warnten vor einem Abbruch. Und wirklich â ein Gutachter erkannte die Möglichkeit einer Erneuerung. Sie führte zu jener berühmten Abstimmung von 1863, und das âRelikt aus Vätertagenâ durfte bleiben. Drei Restaurierungen waren die Folge: Ãber die erste habe ich schon geschrieben. Die zweite nahmen die Nazis in ihre patri(di)otischen Hände. Zwar fingen sie die Neigung des Südturms durch einen Stahlbetonanker auf, wollten das Holstentor aber zu einem Propagandamuseum machen und die Innenwände mit einer Geschichte von den Wikingern bis zur SA bepinseln. Obwohl es zu dieser Ausgestaltung nicht kam, existiert bis heute in der einstigen âRuhmes- und Ehrenhalleâ ein âHolstentorschlüsselâ mit einem Hakenkreuz als Schlüsselbart. Apropos Hakenkreuz: Während der bislang letzten Restaurierung 2004â06 wurde ein 1934 angebrachtes Hakenkreuz wenige Tage nach Gerüstaufbau von Unbekannten entfernt. Es galt als eines der letzten Mahnzeichen
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