Lübeck
– die
Einberufung 1944 zur Waffen-SS, nachdem er sich zuvor als 15-Jähriger in
Gotenhafen freiwillig zur Wehrmacht gemeldet hatte. Günter Grass: ein Nazi?
Oder zumindest ein Heuchler, über Jahrzehnte hinweg? Oder gar ein
kaltblütiger Kalkulierer, der seine Autobiographie „Beim Häuten der
Zwiebel“ (2006) aufgrund seines Geständnisses in die Bestsellerlisten
katapultieren wollte, was prompt geschah? Es ist viel darüber geschrieben,
geschimpft und lamentiert worden. Ein gutes Fazit liefert Henryk M. Broder:
„Man wird ihm den Nobelpreis nicht aberkennen, die Schweden werden sich nicht
blamieren wollen, aber man wird ihn fortan nur noch als die Karikatur seiner
selbst wahrnehmen und ihm einen Platz in der Hall of Shame zuweisen.“ Trotz
aller Vorbehalte, die man gegen den Menschen hinter der literarischen Ikone
haben kann – sein Werk ist nicht infiziert von der „braunen“
Begeisterungsfähigkeit des Jugendlichen.
Insgesamt ist diese nicht übergroße Galerie immer einen (Kurz-)Besuch wert.
Lediglich für die 90-minütige, nur selten hochspannende Doku „Der
Unbeugsame“ hat man im Foyer einen denkbar schlechten Platz zwischen Toilette
und Garderobe gewählt … Dafür entschädigt das auf der anderen Seite
platzierte Gedicht „Ohne Uhr“, welches aus einer ausgedienten
Olivetti-Schreibmaschine ragt, dem erklärten Lieblingsapparat des einstigen
Steinmetzen und studierten Bildhauers. Das GGH gibt es seit 2002; noch immer
hat Günter Grass in einem der unzugänglichen Teile des Gebäudes ein
Sekretariat.
Im Museumsshop kann man neben den lieferbaren Titeln auch Lithografien und
Skulpturen des aktuellen Stadtheiligen kaufen, sogar die nachgemachte Trommel
des kleinen Oskar zu 14,90 € – Kitsch, lass nach!
Über einen Garten gelangt man ins kostenfreie Willy-Brandt-Haus dem ich
mich im Rahmen dieses Spaziergangs noch ausführlich widmen werde.
Glockengießerstr.
21, Tel. 1224230, www.die-luebecker-museen.de .
Jan.–März Di–So 11–17 Uhr, April–Dez. tägl. 10–17 Uhr. Eintritt
5 €, erm. 2,50 €, Kinder (6–18 J.) 2 €, unter 6 J. frei. Führung
ab 12 Pers. für 50 € plus 4 € Eintritt pro Pers.; 14-tägige
Voranmeldung wird erbeten, aber auch kurzfristig möglich. Ferner gibt es jeden
Mittwoch um 14 Uhr für 8 € pro Pers. eine etwa eineinhalbstündige
Kombiführung vom Buddenbrook- zum Günter-Grass-Haus . Lesungen mit bekannten Autoren oder
NDR-Aufnahmen mit dem Namensgeber des Museums finden unregelmäßig im ersten
Stock statt.
Spaziergang 3:
Günter-Grass-Haus, Willy-Brandt-Haus und Heiligen-Geist-Hospital
St. Katharinen
Einkaufstipp
Wer ein besonderes Mitbringsel sucht, wird vielleicht im Wein-Castell von Kurt Thater fündig (direkt
neben dem Günter-Grass-Haus in derGlockengießerstr. 19,
Tel. 793679, www.weincastell-luebeck.de ,
Mo–Fr 12–19 Uhr, Sa 11–14 Uhr). Die vorwiegend italienischen Weine,
für die Günter Grass inzwischen 17 Etiketten gestaltet hat, sind von guter
Qualität und werden seit 2002 alljährlich von Künstler und Inhaber
ausgewählt. Nicht nobelpreisverdächtig, aber amüsant sind die Namen der
roten und weißen Tropfen, die für etwa 10 € zu haben sind (z. B. „Der
Butt will schwimmen“ oder „Diese Kröte kann man schlucken“) – und
selbstverständlich auf berühmte Romane des Meisters der Selbstvermarktung
anspielen.
Sechs Grad Celsius, 92 % Luftfeuchtigkeit – die definitiv ungemütlichste
der Lübecker Inselkirchen ist eine Herausforderung. Bevor man sich in die
dreischiffige Kältekammer in der Königstraße begibt, sollte man sich das
Highlight an der Westfassade vor dem Haupteingang ansehen. In einer
Nischenreihe im unteren Drittel der gotischen Backsteinbasilika von 1300 haben
sich zwei Bildhauer verewigt. Die ersten drei Terrakottafiguren vonErnst Barlach sind aus den
30er-Jahren des letzten Jahrhunderts; besonders beeindruckend ist der „Blinde
Bettler mit Krücken“ (zweite Figur von links). Der Bildhauer-Schriftsteller
hat die Oberkörper und Köpfe so vergrößert, dass die Proportionen für den
Betrachter von unten stimmen. Während der Nazizeit wurden 400 seiner Werke als
entartete Kunst entfernt; den Zyklus konnte er nie vollenden. Die restlichen
sechs Charaktere entstanden erst nach dem Zweiten Weltkrieg (1947/48) durch
Gerhard Marcks, z. B. ein Brandstifter (Nr. 5) oder Kassandra (Nr. 8).
Im lichtdurchfluteten, feuchten Inneren der Museumskirche erhält man einen
lebendigen Eindruck von
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