Lübeck
oder von 198 Geiseln, die während des ersten
Golfkrieges in die Gefangenschaft von Saddam Hussein geraten waren.
Wenn man sich die Bilderbuchkarriere des weltberühmten Politikers ansieht,
kann man schnell seine Herkunft vergessen. Im Lübecker Arbeiterviertel
St. Lorenz am 18. Dezember 1913 als uneheliches Kind einer Verkäuferin
geboren – seinen Vater John Möller lernte er nie kennen –, schrieb Herbert
Frahm bereits als 13-Jähriger (!) für den Lübecker Volksboten und trat 1930
der SPD, später der linkssozialistischen SAP bei. 1934 emigrierte der Mann,
der im Laufe seines Lebens sechs Sprachen erlernen und der Lübecker
Ehrenbürger werden sollte, nach Norwegen. 1938 unter altem Namen aus
Nazi-Deutschland ausgebürgert, geriet er zwei Jahre später als Willy Brandt
in Gefangenschaft. Die braunen Schergen nahmen ihm den gespielten,
skandinavischen Akzent ab – und Brandt konnte nach Schweden fliehen. Nach dem
Krieg lehnte der Exilant die geplante Nachfolge von Otto Passarge als
Bürgermeister von Lübeck ab, um höhere politische Weihen zu erlangen
(s. o.).
Seine „Politik der kleinen Schritte“ und das berühmte „Wir wollen
mehr Demokratie wagen“ brachten ihm nicht nur Freunde. Diverse
Verleumdungskampagnen der rechten (Kampf-)Presse und der politischen Gegner
folgten. Während seiner ersten Kanzlerschaft kam es zu Neuwahlen, die der
populäre Staatsmann klar für sich entschied, dank einer Wahlbeteiligung mit
Rekordhoch der (jungen) Wählerschaft und der Initiative „Bürger für
Brandt“. Die Guillaume-Affäre wurde ihm zum Verhängnis, am 6. Mai 1974 trat
er zurück. Heute darf stark vermutet werden, dass Brandt nicht nur in
moralischer Eigenregie „politisch korrekt“ handelte: Aller
Wahrscheinlichkeit nach nahm er aus Angst, der enge Mitarbeiter und enttarnte
DDR-Spion Günter Guillaume könne die Affären des charismatischen Politikers
zu jüngeren Journalistinnen vor Gericht ausplaudern, seinen Hut – Brandt
soll außerdem unter Depressionen und Alkoholproblemen gelitten haben. Vor
laufender Fernsehkamera gestand er später: „In Wahrheit war ich kaputt, aus
Gründen, die gar nichts mit dem Vorgang zu tun hatten, um den es damals
ging.“ Am 8. Oktober 1992 erlag der menschlichste und vielleicht auch
mutigste deutsche Staatsmann einem Krebsleiden.
Willy-Brandt-Haus ,Königstr. 21,
Tel. 1224250, www.willy-brandt-luebeck.de .
Jan.–März Di–So 11–17 Uhr, April–Dez. tägl. 11–18 Uhr. Eintritt
frei! Kostenlose Führungen Sa/So jeweils um 15 Uhr. Außerdem sog.
Schwerpunktführungen mit speziellen Themen (→ Webseite) ab 2 Pers. für
40 €, Voranmeldung (14 Tage vorher!) erbeten. Die Ausstellung ist mit dem
Günter-Grass-Haus verbunden – Tickets dafür gibt’s im Museumsshop.
Spaziergang 3: Günter-Grass-Haus, Willy-Brandt-Haus und Heiligen-Geist-Hospital
Museum Behnhaus Drägerhaus
StandesgemäÃes Interieur
Schon von auÃen ist das Behnhaus ein Hingucker. Ein unbekannter Meister hat sechs antike Götter geschaffen, die z. B. Stärke (Nr. 2) oder Handel (Nr. 5) demonstrieren â und auf der Dachfassade ins Weite blicken. Ãber der Tür des Drägerhauses ist ein Relief angebracht, das auf den Knochenhaueraufstand anspielt (â Stadtgeschichte).
Das Museum, das in zwei aneinander angrenzenden Bürgerhäusern des 18. Jh. beherbergt ist, kann nur über das Behnhaus (Nr. 11) betreten werden; im Inneren gelangt man unkompliziert von einem Gebäude ins andere. Nach einer beeindruckenden Diele im Behnhaus gelangt man in beiden Häusern in aufwendig dekorierte Flügelsäle.
Man erkennt, wie sehr sich das erstarkende Bürgertum im 18. und 19. Jh. als Hauptstütze der Gesellschaft sah: Gerade kulturell wollte man auf der Höhe der Zeit sein â und orientierte sich bei der Einrichtung an italienischen und französischen Vorbildern. Folgerichtig lebten in diesen zwei Paradebeispielen bedeutender Bürgerhäuser aus Norddeutschland einige Bürgermeister. Den ersten Hausherrn, Peter Hinrich Tesdorpf, nannten die Lübecker nur âden Marquisâ, seine Frau lud Klopstock zum Tee ein. Heinrich Theodor Behn, dritter Inhaber, nahm Kaiser Wilhelm II. während dessen Besuchs in Lübeck auf.
Seit 1921 befindet sich in den zwei Gebäuden eine Galerie. Der umtriebige Carl Georg Heise, einst Direktor des Museums für Kunst und Kulturgeschichte, pflegte eine moderne Sammlung â bis die
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