Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
wir was erkennen, wie finden wir heraus, um wen es sich handelt? Außerdem, darum kümmert sich jetzt die Polizei. Die haben ganz andere technische Mittel als wir. Nicht zuletzt, vielleicht benutzt der Killer nur den Absender des Internetcafés, um die Polizei zu täuschen, und wenn er nicht an einem PC im Internetcafé gewesen ist, dann kann er auch die Zeit fälschen. Bohming hatte das Pech, genau im falschen Augenblick am falschen Ort zu sein. Je länger ich darüber nachdenke, umso schlauer fände ich es, die Mailadresse eines Internetcafés als Tarnung zu benutzen.«
»Hm.« Dann schwieg Georgie.
»Bei dieser Geschichte ist es so: Du greifst nach etwas, hast es in der Hand, bist überzeugt, es sei das Richtige, und dann zerbröselt es.«
Trotzdem, ich fahre heute Abend nach Hause und mache mich selbst zum Köder. Gewiss, das ist eine alberne Spielerei, nichts anderes als ein Indiz für die erbärmliche Tatsache, dass ich gescheitert bin. Die Detektivspielerei war Unsinn. Er war eben doch nicht schlauer als die Hamburger Mordkommission. Er hatte Glück gehabt in der Vergangenheit, und wenn er es sich genau überlegte, mehr Glück als Verstand. Er hatte dilettiert, war das Huhn, das auch mal ein Korn fand und sich dann aufblähte, bis es fast platzte. Du bist schon so begeistert von dir selbst, dass du gar nicht mehr merkst, wie du dir eine Häufung von Zufällen selbst als Meisterrecherche verkaufst. Einen höheren Grad an Selbsttäuschung kann man kaum erreichen. Immerhin etwas, worin dich niemand übertreffen wird, ausgenommen nur die Großmäuler an den Kneipenstammtischen. Die sind klüger als der Rest der Menschheit, aber gleich danach kommst du.
Wieder schaute er hinüber zum Dach der WiSo-Fakultät. »Lass uns in die Cafeteria gehen.«
Georgie zuckte die Achseln, was nur heißen konnte, er habe ohnehin keine Wahl, wenn Stachelmann auf stur schaltete. Stachelmann holte sich einen Kaffee und spendierte Georgie eine Cola. Sie setzten sich ungefähr an die Stelle, wo die Frau vor Schreck und Angst zusammengebrochen war, als die Schüsse fielen. Und er hörte die Schreie, diese furchtbaren Schreie. Sie schwiegen lange. In Stachelmanns Kopf ging alles durcheinander.
»Nun, weilst du wieder unter uns Sterblichen?«, fragte Georgie. Er schlürfte an seiner Cola. »Ich sag nochmal: Auftragskiller. Das ist die einzige Version, die mit den Fakten übereinstimmt.«
»Vergiss es«, sagte Stachelmann. »Es ist ausgeschlossen, dass Bohming einen Killer bezahlt. Er wüsste nicht, wie er einen anheuern sollte, er wüsste nicht, wie er sicherstellen könnte, dass der ihn nicht reinlegt. Wenn man einen Killer beauftragt, dann hat der einen in der Hand. Bohming ist faul und großkotzig, aber blöd ist er nicht. Ganz im Gegenteil. Und vor allen Dingen, es gibt nicht das geringste Motiv. Ich habe so meine Schwierigkeit mit dem Sagenhaften. Aber er hat nichts getan, um mir zu schaden. Er hat mir stattdessen geholfen, wo er konnte. Wenn es ihn nicht gäbe, wäre ich längst ein Sozialfall.« Jetzt, da er es sagte, spürte er, wie ein Gefühl der Dankbarkeit in ihm wuchs.
»Dann ist eben gerade etwas passiert, das ihn dazu gebracht hat, dir einen Killer auf den Hals zu hetzen.«
»Du glaubst doch selbst nicht, dass Bohming in meinem Zimmer so ... ein Abschlachten veranstalten könnte. Ausgeschlossen. Das schafft nur einer, der so abgestumpft ist, dass er solche Perversionen erträgt oder sogar genießt.«
»Na ja, wenn du meinst.« Georgie war ein bisschen beleidigt, weil Stachelmann ihm nicht folgen wollte.
»Wenn wir überhaupt weiterkommen, dann nur, wenn wir herausfinden, wo Brigitte war, bevor sie ermordet wurde. Und vor allem, was sie getan hat. Das bilde ich mir wenigstens ein.«
»Du strotzt vor Optimismus und Tatendrang.«
»Weißt du was Besseres?«
Georgie guckte demonstrativ woandershin. Nach einer Weile sagte er: »Na gut, wo und wie suchen wir nach Gittes letztem Versteck?«
»Wir grasen alle ab, die in Frage kommen.«
»Haben wir das nicht schon?«
»Offenbar nicht.«
»Wir sollten uns nochmal mit Kraft unterhalten. Vielleicht weiß der es doch?«
Stachelmann musste lachen. »Das ist eine lustige Vorstellung. Das machen wir. Wahrscheinlich weiß er es wirklich. Und wir machen noch etwas. Wir fragen ganz offen in der Diskussionsgruppe. Wer was weiß, soll mir eine Mail schicken.«
Georgie dachte nach, dann sagte er: »Hm. Gar nicht schlecht. Aber wir werden das als neuen thread aufmachen.«
Weitere Kostenlose Bücher