Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
den du dir bitte anhörst, bevor du gleich nein sagst. Ja?« Sie schaute ihm streng in die Augen.
Er nickte. »Gut.«
»Wir ziehen zusammen, am besten in meiner Wohnung. Das senkt die Kosten. Und ich befürchte, in Lübeck würdest du versacken, wenn du nicht mehr gezwungen bist, an der Uni aufzutauchen. Du stellst dir dein neues Dasein jetzt in schönsten Farben vor. Aber es wird dich bald der Selbstzweifel einholen, weil er zu dir gehört wie deine Nase.«
Es rührte ihn, und er ärgerte sich. Nein, er würde sich befreien von allem, was ihn bedrückte, weil das nur mit der Universität zusammenhing. Die hatte ihn fast fertig gemacht.
»Und?«, fragte sie ungeduldig.
»Ich denke darüber nach.«
»Das kennen wir.«
Natürlich, sie warf ihm vor, Entscheidungen zu verschleppen. Aber er würde sein Leben nicht binnen weniger Minuten noch radikaler ändern, als er es ohnehin vorhatte. Sie durfte ihm nicht die Pistole auf die Brust setzen. Jetzt schon gar nicht.
»Gut, ich bin hin und wieder nicht klargekommen, auch privat. Aber das kann doch nicht heißen, dass ich nun gleich versacke. Die Uni zu verlassen genügt erst mal.«
»So siehst du das also.« Sie sagte es leise, fast tonlos. »Manchmal glaube ich, du bist mit mir zusammen ... zusammen, wenn man das so nennen kann ..., weil es dir bequem ist. Du kommst und gehst, wann du willst. Um Felix kümmerst du dich auch nicht. Und weil ich nicht nachtragend bin, gehst du auch mal mit einer anderen ins Bett. Du weißt ja, ich verzeihe alles.« Sie sprach, als verachtete sie sich selbst. Sie war nur noch Resignation. Als würde sie gerade Klarheit gewinnen über eine von Anfang an vermasselte Beziehung, an der sie entgegen aller Vernunft festgehalten hatte.
Es ist die Zeit des Bruchs. Als er es dachte, erschrak er. Nein, das wollte er nicht. An ihr konnte er sich festhalten, sie war stärker als er. Auch wenn sie sich weigerte, seinen Spinnereien zu folgen, auch der Streit mit ihr gehörte längst zu seinem Leben. Sie war vernünftig, klar, hatte Ziele und dachte nicht um die Ecke wie er. Ohne sie hätte er sich so oft verrannt. Und vielleicht wäre er nicht mehr am Leben. Er wusste, wie brüchig ihre Liebe war, aber das war sie schon so lange, dass er sie sich nicht mehr anders vorstellen konnte. Ja, er hatte Affären gehabt, aber waren die nicht bedeutungslos? Jedenfalls für ihn. Doch er ahnte, dass sie Anne verletzt hatten. An diesem Abend hatte er mit ihr über seine Vermutungen sprechen wollen, wie sich das Wirrwarr entflechten lassen könnte. Er hatte gehofft, sie würde ihm helfen, es wäre nicht das erste Mal gewesen. Stattdessen begannen sie sich zu streiten.
»Danke«, sagte er. »Danke für die Hilfe. Für das Angebot. Es ist verlockend, wirklich.«
Ihr Augen verrieten, sie glaubte ihm nicht.
»Aber lass mich bitte darüber nachdenken. Es stürzt derzeit ein bisschen viel auf mich ein.«
»Einstürzen?«
»Du weißt, wie ich es meine.«
»Eben«, sagte sie. Dann stand sie auf, nahm ihren Mantel von der Stuhllehne und ging. Gemächlich, aber bestimmt. Er hätte sie aufhalten können, doch er schwieg.
Wenn man das Musterbeispiel eines nach vernünftigem Beginn misslungenen Gesprächs beschreiben will, jetzt könnte ich es, dachte er. Ja, sie ist es leid, dass ich immer wieder zögere, mich nicht entscheide, nicht weiß, was ich will, jedenfalls mag es für Außenstehende so aussehen. Aber sie kann nicht von mir verlangen, eine so wichtige Frage binnen weniger Minuten zu beantworten. Und sie fürchtet, dass ich mich gar nicht entscheiden kann. Es ist verhext. Als könnten wir nicht mehr miteinander reden, ohne uns misszuverstehen. Erst fühlte er sich unverstanden, dann war er wütend, schließlich wurde er traurig. Warum konnte er nicht ein Leben führen wie andere Menschen? Ein ganz normales Leben, mal mehr, mal weniger glücklich. Für ihn gab es nur Abgründe. Und könnte er glücklich sein, sah er schon den nächsten Abgrund oder erkannte das Glück erst, wenn es verronnen war.
Er bezahlte, übersah das erstaunte Gesicht des Kellners, der die vollen Teller nach einem angedeuteten Achselzucken abtrug. Draußen wehte ein kalter und feuchter Wind, er fror. Der Hochnebel drückte tief auf die Stadt. Alles war grau, auch in seinem Kopf. Auf dem Weg zum Dammtorbahnhof begegnete er grauen Gestalten, die auch nicht bunter gewesen wären, hätten sie grelle Sommerkleidung getragen. Das Polizeiauto, das ihm folgte, beachtete er nicht. Ein Gedanke
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