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Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Titel: Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Tschechoslowakei. »Er schildert mehr die Unterschiede zwischen Henleins Partei und den Nazis als das, was sie am Ende zusammenbrachte. Sonst das Gleiche in Grün«, sagte Stachelmann. »Wie alt war Bohming damals?«
    »Jahrgang fünfundvierzig«, sagte Anne. »Als der Artikel erschien, war er dreiundzwanzig oder vierundzwanzig, ein junger Spund.«
    »Musste keinen Militärdienst leisten und hat vielleicht einen Förderer gehabt.«
    »Wie du auch«, sagte Anne. »Das ist er nämlich für dich.«
    Sie hatte Recht. Er freute sich, dass sie so eifrig bei der Sache war, als hätte sie den Abgang beim Vietnamesen nie hingelegt.
    »Also, im Autorenverzeichnis steht, dass er seine Promotion vorbereitet.«
    »Bei wem?«, fragte Stachelmann.
    »Donald Hamm.«
    »Donald Hamm?«
    »Warum fragst du?« Anne schaute ihn neugierig an.
    »Den Namen habe ich schon mal gehört.«
    »Es gibt hier kaum einen Namen, den ein halbwegs fleißiger Historiker nicht schon gehört hätte.«
    »Stimmt«, sagte Stachelmann. Er schrieb sich den Namen auf.
    Dann lag ein Buch oben auf dem Stapel. »Völkische Minderheiten in Osteuropa nach dem Versailler Vertrag«, las Stachelmann. »Liest sich fast wie ein Nazibuchtitel«, sagte er. Er blätterte, fand vorne eine Danksagung an Donald Hamm und den Verweis, es handle sich um Bohmings Dissertation. »Die werde ich nochmal lesen. Sieht so dünn aus wie die von Helmut Kohl.«
    Anne lachte. »Steht auch nicht viel mehr drin.«
    »Ich habe das Gefühl, diesmal haben wir tatsächlich eine Spur. Genauer gesagt, du hast sie gefunden.«
    Sie grinste ihn an. »Oh, seltenes Lob des Meisters, die Dienerin dankt. Allerdings stammt von dir die Idee, es mal mit dem Schriftgut zu versuchen.«
    Beim Wort »Schriftgut« grinste er. »Die Dissertation nehme ich mit nach Hause.«
    »Du bleibst nicht?«
    »Nein, ich muss das konzentriert durcharbeiten. Und morgen muss ich mit meiner Mutter ein Altenheim besichtigen.«
    Ein Hauch von Ärger überflog ihr Gesicht. Ja, er war eigensinnig. Aber wenn er bei ihr blieb, würde er sich kaum konzentrieren können. Und je öfter er sie besuchte, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Mörder sie ins Visier nahm. Wenn Anne etwas passieren würde, das würde er nicht überstehen. Aber er behielt es für sich, auch wenn die Wahrheit vielleicht ihren Ärger gelindert hätte. Es hätte sie nur geängstigt.

    Schon auf der Heimfahrt las er in Bohmings Doktorarbeit. Vor vielen Jahren hatte er schon mal hineingeschaut, dann aber bald das Interesse verloren. Diesmal war sein Interesse anders gelagert. Hin und wieder blätterte er ans Ende des Buches, um Anmerkungen zu prüfen. Mit jeder Seite wuchs sein Erstaunen. Die Übersicht über den Forschungsstand war vielleicht gut für ein Proseminar, Bohming erwähnte vor allem Arbeiten aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren, auch welche aus der Zeit nach dem Krieg. Aber offenbar nicht alle. Stachelmann merkte gleich, dass wichtige Veröffentlichungen fehlten. Oft zitierte Bohming seinen Doktorvater, von dem aber nur Publikationen aus den Dreißiger- und den Fünfzigerjahren. Wahrscheinlich war Hamm zur Wehrmacht eingezogen worden und hatte nichts mehr geschrieben. Eigentlich nicht ungewöhnlich. Und mit Sicherheit war er längst tot.
    Schon als der Zug Reinfeld verließ, war Stachelmann überzeugt, dass Bohmings dünne Schrift niemals als Dissertation hätte anerkannt werden dürfen. Aber in der Einleitung stand summa cum laude, eine bessere Benotung gab es nicht. Er begann nun die Anmerkungen genau zu lesen. In ihnen wollte er entdecken, auf welchen Quellen und welcher Sekundärliteratur die Arbeit aufbaute. Er fand keine Quellen, ausgenommen Zitate, die Bohming vor allem Hamms Arbeiten entnommen hatte. Der Sagenhafte hatte sich offenbar nicht einmal die Mühe des Archivbesuchs gemacht. Stachelmann überlegte, ob Bohming jemals ein Archiv von innen gesehen hatte. Solange Stachelmann am Hamburger Seminar war, hatte er nichts gehört von einer Archivrecherche des Ordinarius.
    Das war absurd, die ganze Arbeit war absurd, selbst wenn man unterstellte, dass vor ein paar Jahrzehnten andere Maßstäbe gegolten hatten. Niemals, nicht einmal zu Rankes Zeiten, wäre dieses bodenlose Geschreibsel anerkannt worden als Dissertation. Nicht einmal als Magisterarbeit. Warum hatte Hamm Bohmings Dissertation akzeptiert, sogar mit der Bestnote?
    Auf dem Weg zwischen dem Lübecker Bahnhof und seiner Wohnung dachte er kaum an den Todesschützen. Der kam

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