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Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Titel: Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Er sah Freisler im Traum, wie der die Angeklagten des 20. Juli ohne Hosenträger vorführen ließ und niederbrüllte. Die Filmausschnitte, die es davon gab, waren abstoßend, sie zeigten die Fortsetzung der Gestapofolter im Gerichtssaal.
    Er wachte auf, wälzte sich, um die Schmerzen zu mildern, und wusste, er würde sich immer wieder mit Freisler und Konsorten beschäftigen müssen. Er musste klarkommen mit der Ungeheuerlichkeit. Irgendwie. Aber wann?

    Als er überlegte, ob er Anne anrufen solle, klingelte das Telefon.
    »Telepathie«, sagte er, als er ihre Stimme hörte.
    »Hoffentlich. Pass auf, ich habe mir ein paar Bücher besorgt, von Bohming und dies und jenes andere. Ich glaube, du könntest doch Recht haben mit deiner Vermutung. Da ist etwas im Busch. Irgendwas. Und wenn es nichts mit den Morden zu tun hat, heikel ist es allemal.«

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    16
    Er machte sich sofort auf den Weg. Die Ungeduld wuchs, während der Regionalexpress ihn nach Hamburg brachte. Aber als er an die Möglichkeiten dachte, die in Annes Literaturfund steckten, wurde er unsicher. Bohming legt sich nicht aufs Dach der WiSo-Fakultät und schießt auf Leute. Und er schlachtet keine Studentinnen ab.
    Was würden sie in Bohmings Ergüssen finden? Stachelmann hatte vor Jahren alle größeren Arbeiten Bohmings quergelesen und nichts entdeckt, was die Wissenschaft hätte voranbringen können. Inzwischen hatte er weitgehend vergessen, was in den Büchern und Artikeln stand. Was sollte er nun entdecken? Dass Bohming mittelmäßig war? Geschenkt. Dass er vielleicht plagiiert hatte? Geschenkt, und seit er Ordinarius war, ließ er seine Assistenten für sich schreiben, ausgenommen Stachelmann. Wahrscheinlich hat er Schiss, dass ich herausbekomme, dass er nicht so sagenhaft ist, wie er vorspielt. Aber das hatte Stachelmann auch so bemerkt. Jeder hätte es bemerkt.
    Hamburg Hauptbahnhof, endlich. Er wechselte den Bahnsteig, erwischte gerade noch eine S-Bahn zum Dammtor. Dort stieg er aus und lief los. Außer Atem erreichte er das Haus, in dem Anne wohnte. Er rannte die Treppe hoch und keuchte. Jetzt, wo es vielleicht doch eine Chance gab, sie loszuwerden, spürte er seine Angst.
    »Was klapperst du hier herum?« Sie schaute ihn an. »Mein Gott, wie siehst du denn aus?«
    Er trat in den Flur, hängte seinen Mantel an den Haken, ging ins Wohnzimmer und setzte sich auf die Couch. Im Schlafzimmer hörte er Felix spielen. Anne lehnte sich an den Türrahmen und schaute ihn an.
    »Ich habe mich beeilt, bin ein bisschen außer Puste. Geht gleich wieder. Zeig mal, was du gefunden hast.«
    Felix donnerte ins Wohnzimmer. Er strahlte, als er Stachelmann sah, rannte zum Sofa und kletterte auf Stachelmanns Schoß. Kaum traf Felix' Fuß Stachelmanns Knie, packte den der Schmerz. Zischend atmete er ein, nahm Felix und schob ihn vom Schoß. Aber Felix betrachtete es als Spiel und kletterte lachend zurück. Anne schnappte sich Felix, brachte ihn ins Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. Als sie nach einer Weile wieder auftauchte, hörte man Felix glucksen durch die Schlafzimmertür.
    Stachelmann hob die Hände und ließ sie wieder sinken.
    »Ich weiß«, sagte Anne. Sie legte einen Stapel von fünf Büchern und ein paar Zeitschriften auf den Wohnzimmertisch. Er nahm das erste Buch in die Hand. Ein Sammelband, herausgegeben von einem Wilfried Mayer-Strohm. Den Namen hatte Stachelmann schon einmal gelesen, irgendeiner der vielen unbekannten Historiker, die sich redlich mühten, aber nichts Bedeutendes zustande brachten. So wie Stachelmann. Er fand Bohmings Beitrag sofort: »Völkerbewegungen in Osteuropa zwischen Versailler Vertrag und Zweitem Weltkrieg«, elf Seiten. Er überflog den Text, dann schüttelte er den Kopf, schlug die Copyrightseite auf und sagte: »1970. Da war er noch ein Niemand. Der Beitrag ist auch so. Stimmt, ich erinnere mich, früher hat er sich mit Osteuropa beschäftigt. Hatte ich ganz vergessen. Es gab auch keinen Grund, ewig daran zu denken.«
    »Das hat mich auch erstaunt, aber warum nicht?«, sagte Anne. »Zuletzt hat er sich mit den Fünfzigerjahren befasst ... beziehungsweise seine Mitarbeiter damit getriezt.«
    Dann ein Exemplar der Viertelsjahreshefte für Zeitgeschichte, Frühjahr 1969. Wieder ein Aufsatz über Osteuropa: »Deutsche Siedlungen in der CSR, 1919–38«.
    Er blätterte darin und fand nichts Aufregendes, ausgenommen eine zurückhaltende Beschreibung der Sudetendeutschen Partei der so genannten Volksdeutschen in der

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