Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
telefonieren. Erst mit dem Kollegen Abend an der Universität in Köln, den er vor Jahren auf einem Historikerkongress getroffen hatte. Der versprach, sich gleich kundig zu machen, und nach einer halben Stunde, die Stachelmann vorkam wie eine Ewigkeit, klingelte endlich das Telefon. Stachelmann hörte genau zu und machte sich Notizen. Dann rief er eine andere Nummer an, fragte nach Aktenbeständen und hatte das Glück, einen aufgeweckten Archivar anzutreffen. Als er aufgelegt hatte, war die Unzufriedenheit verschwunden.
[ Menü ]
17
Die Scheibenwischer mühten sich fast vergeblich. Eine Sturzflut prasselte auf Stachelmanns alten Golf. Er war müde, aber aufgeregt. Unterwegs hatte er immer wieder überlegt, was er finden könnte. Brigitte war ihm immer noch einen Schritt voraus, er wusste es. Warum war er nicht gleich darauf gekommen, sondern erst eine Weile, nachdem Anne ihm erzählt hatte, Brigitte habe diese Bücher in der Bibliothek ausgeliehen? Da begriff er erst, warum Brigitte nach Thüringen gefahren war und dass sie dort etwas gefunden hatte, das sie das Leben kosten sollte.
Fast wäre er auf einen Lastwagen aufgefahren, der hinter der Gischtwolke, die er aufwirbelte, kaum zu erkennen war. Wenn es so weiterging, würde er spät in der Nacht eintreffen.
Als der Regen nachließ, beschleunigte Stachelmann den Wagen und überholte den Lkw. Er raste fast, obwohl er an diesem Tag nichts mehr würde erreichen können. In seinem Kopf jagten sich die Ideen, was Brigitte gefunden haben könnte. Und wie. Es gab nur zwei Orte, das glaubte er jedenfalls, nur zwei Orte, an denen er suchen musste. Es konnte in Thüringen keine anderen Orte geben, wo man etwas finden konnte, das man mit seinem Leben bezahlen musste. Jedenfalls nicht in diesem Fall. Stachelmann versuchte sich vorzustellen, wie Brigitte vorgegangen war. Hatte sie erst ihn treffen wollen, bevor sie ihren Mörder traf? Oder hatte sie den schon gestellt? Die zweite Möglichkeit erschien ihm wahrscheinlich. Sie hatte ihn konfrontiert mit ihrer Entdeckung, und der hatte sich den Trick einfallen lassen, ihr eine Mail mit Stachelmanns Absender zu schicken. Hätte er es unter dem eigenen Namen getan, wäre sie wahrscheinlich gar nicht gekommen. Und die Polizei hätte den Absender gefunden. Sie wird gewusst haben, dass ihr Leben in Gefahr war. Dass sie es mit jemandem aufnahm, der gefährlich war. Stachelmann bewunderte sie wegen ihres Muts und ihrer Intelligenz, die sie früher als ihn auf die richtige Fährte gebracht hatte. Allerdings hatte sie den Vorteil gehabt, von vornherein zu wissen, dass die Internetkampagne nichts mit den Schüssen auf Stachelmann zu tun hatte, jedenfalls nicht direkt. Denn sie war E.T. und musste es wissen. Für sie war das Bild recht schnell klar, während er über Zusammenhänge rätselte, die es nicht gab.
Er erschrak. An die letzten Kilometer konnte er sich nicht erinnern. Er musste blind gefahren sein, ganz verloren in Gedanken. Konzentrier dich, pass auf.
Stachelmann atmete auf, als die Ausfahrt nach Weimar angezeigt wurde. Er steuerte ins Stadtzentrum, sah ein Hinweisschild zum Hotel Elephant und folgte ihm. Hier hatte Hitler gewohnt, wenn er in Weimar war. Allerdings hatte er sich beklagt über schlechten Komfort und kleine Zimmer. Heute hätte er dazu keinen Grund mehr, dachte Stachelmann, als er völlig durchnässt die Hotelhalle betrat, nachdem er sein Auto geparkt hatte. Das Elephant galt als Luxusherberge, und er hatte beschlossen, sich die Unterkunft dort zu leisten, noch konnte er es ja.
Er verfluchte sich, weil er in der Hektik seines Aufbruchs den Schirm vergessen hatte. Der Hotelbedienstete an der Rezeption schaute ihn mitleidig an und zögerte einen Augenblick, die Frage zu beantworten, ob ein Zimmer frei sei. Er musterte Stachelmann, aber dann schien etwas an dessen Anblick ihn freundlich zu stimmen. Er schob ihm einen Block mit Anmeldeformularen hin und bat ihn, sich einzutragen. »Name und Anschrift genügen.«
Stachelmann hinterließ Wasserflecken auf dem Formular, die Kulitinte schmierte. Im Zimmer zog er die nasse Kleidung aus und hängte sie im Bad über die Duschwand. Er verwarf die Idee, etwas zu essen, und legte sich aufs Bett. Er hatte keinen Hunger, der Magen schmerzte fast vor Anspannung. Er wusste endlich, wonach er zuerst suchen musste. Vor seinem Telefonat mit dem Kölner Kollegen Abend hatte er es nicht einmal geahnt. Aber jetzt endlich wusste er, um was es ging. Um den Historiker Richard
Weitere Kostenlose Bücher