Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
Fußnote vermerkt. Und sonst stand da nichts.
Dann klackte die Wohnungstür. »Bist du schon da?«, rief sie. Er hatte nicht abgeschlossen.
Er trat in den Flur und nahm sie in den Arm.
»Ich hab die Habilschrift«, schnaufte sie. »Dünn, dünner geht's nicht. Darüber habe ich mich schon gewundert, als ich das Ding zum ersten Mal in der Hand hatte. Damals dachte ich: Na ja, früher war das halt so. Aber wenn man darüber nachdenkt, kommt einem das schon merkwürdig vor.«
Sie stellte die Tasche auf den Boden, öffnete sie und zog ein Buch hervor. Sie reichte es Stachelmann und hängte ihren Mantel an die Garderobe. »Es steht das Gleiche drin wie in der Diss. Es ist unglaublich, grenzt an Betrug. So was habe ich noch nie gesehen. Wenn das der Maßstab ist, grabe ich ein altes Hauptseminarreferat von mir aus und reiche es als Habilitationsschrift ein.«
»Sie sollten erst einmal promovieren, Frau Kollegin. Dann sehen wir weiter.«
Sie lachte. »Großmaul! Ach ja, weißt du, wer die Bücher vor mir ausgeliehen hatte?«
»Mach's nicht so spannend.«
»Brigitte Stern.«
Er setzte sich mit Bohmings Habilschrift ins Wohnzimmer. Er blätterte, fand wieder lobende Erwähnungen von Hamms Arbeiten, vor und nach dem Krieg. Er blätterte weiter, las etwas, blätterte wieder weiter, stöhnte angesichts der Armut dieses Textes. »Wir hätten uns damit früher ernsthaft beschäftigen müssen.« Er erinnerte sich, wie er vor vielen Jahren in dem Buch geblättert hatte. Aber das Thema hatte ihn nicht interessiert, und außerdem war es ihm egal, wie Bohming auf seinen Lehrstuhl gekommen war, wo ihn doch nur Pensionierung oder Tod um sein Amt bringen konnten.
»Das ist tatsächlich die Diss, hier und da umformuliert, ein paar Kapitel hat er versetzt, die Anmerkungen scheinen fast hundertprozentig übereinzustimmen. Das könnte man natürlich noch überprüfen, aber mir reicht erst mal der Überblick. Der hat sich seine Laufbahn erschlichen. Das hätten wir schon früher wissen können. Nur wie hat er es gemacht?«
»Wir stellen mal zusammen, was wir wissen, und dann sehen wir weiter.«
Stachelmann lachte bitter. »Das habe ich bei dieser Geschichte schon einmal gemacht. Am Ende hat es einen Rollstuhlfahrer geheilt, und ich warte immer noch auf die Strafanzeige der Feuerwehr.«
»Lass uns nochmal nachdenken. Es gibt Brigittes Internetkampagne gegen dich. Hat die vor den Schüssen angefangen oder danach?«
»Davor. Aber erst nach den Schüssen kam eine Mail und hat mich darauf verwiesen. Der Killer konnte wissen, dass es diese Kampagne gibt. Ich bin sogar sicher, er wusste es.« Er grübelte. »Dann haben wir noch festgestellt«, sagte er endlich, »dass Bohming seine Titel nie und nimmer verdient hat. Und dass derjenige, der sie ihm verschafft hat, ein Nazi war, bis fünfundvierzig jedenfalls. Hamm wird gewusst haben, dass Bohmings Arbeiten Dünnschiss sind, das sieht jeder. Auch die Gutachter, die muss Hamm beeinflusst haben. Das klappt, wenn man sich alte Spezis aussucht, etwa aus Forschungsverbünden in der Nazizeit. Die haben ja alle Dreck am Stecken gehabt.«
Er stand auf und begann umherzulaufen. Sie legte die Beine auf den Wohnzimmertisch und kratzte sich an der Schläfe.
»Es gibt nur zwei sinnvolle Erklärungen. Nummer eins: Bohming war Nazi wie Hamm, und die haben das aus ideologischen Gründen so geregelt. Nummer zwei: Bohming hat Hamm erpresst. Fällt dir eine andere Erklärung ein?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Dass Bohming Nazi war, glaube ich nicht. Der hatte noch nie eine Überzeugung, nicht mal diese. Und Hamm war auch kein Nazi mehr, wenn ihm auch der Mumm fehlte, sich seiner Vergangenheit zu stellen. Aber das ist ja eine Volksseuche. Wenn Bohming Hamm erpresst hat, womit?«
»Na ja, es ist nicht gerade eine Ruhmestat, der SS zuzuarbeiten.«
»Reicht aber für eine Erpressung kaum aus. Braunen Dreck hatten damals die meisten an den Klamotten.«
Stachelmann war unzufrieden. Eigentlich hatte er bisher nichts erfahren, was eine Erpressung rechtfertigte. Eine Nazivergangenheit hatten die meisten Wissenschaftler, die ihre Karrieren im Dritten Reich begonnen hatten. Eine Erpressung ließ sich daraus nicht zimmern. Es musste etwas Furchtbares geschehen sein, etwas, das bewirkte, dass Bohming Hamm in der Hand hatte. Was konnte das gewesen sein? Er saß lange und überlegte. Aber was nutzt alles Nachdenken, wenn man keine Tatsachen kennt? Er musste mehr über Hamm herausbekommen.
Dann begann er zu
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