Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
»Wenn du meinst. Aber man soll die Hoffnung nie aufgeben.«
Sie grinste.
»Was mich viel mehr interessiert: Wer hat auf mich geschossen?«
Sie schaute ihn eine Weile an. »Warum fragst du mich das?«
Er zuckte die Achseln. »Du weißt nichts darüber?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Und die Schmierereien gegen mich? Dieser komische thread im Geschichtsforum?«
»Keine Ahnung.« Sie grinste kaum merklich.
»Dabei kannst du die Arbeit gar nicht gelesen haben.«
»Halt, halt«, sagte sie. »Ich hab damit nichts zu tun. Aber nach dem, was du gerade abgesondert hast, wächst meine Sympathie für die Leute, die was gegen diese Arbeit haben.«
»Von der hängt für mich eine Menge ab.«
»Nicht nur für dich. Außerdem, es gibt Wichtigeres.«
»Zum Beispiel?« Er staunte, er spürte keinen Zorn in sich. Brigitte hatte offensichtlich etwas zu tun mit der Kampagne gegen ihn.
»Hast du keine Augen im Kopf? Überall quillt die braune Scheiße aus dem Keller, und du denkst an deine Habilschrift. Was glaubst du, was passiert, wenn die gedruckt vorliegt?«
»Du weißt es anscheinend.«
»Hartz IV«, sagte sie. »Das kommt danach. Ich finde, es gibt genug arbeitslose Professoren. An deiner Stelle würde ich mir was anderes suchen.« Sie lachte.
»Du meinst, weil es Nazis gibt, soll ich die Habilitation und meine Laufbahn abschreiben?«
Sie überlegte, dann sagte sie: »Du verstehst das nicht. Ach ja, hätt ich fast vergessen. Danke, dass du mir geholfen hast. Ich glaube, die hätten mich sonst ganz schön verdroschen.«
»Nach dem, was du gerade von dir gegeben hast, frage ich mich, ob das so schlecht gewesen wäre.«
Sie stutzte, schaute ihn prüfend an, dann lachte sie wieder. »Das meinst du nicht im Ernst!«
Er winkte ab. »Was hast du mit diesem Unsinn zu tun? Lenk nicht ab.«
»Nichts«, sagte sie. Und er sah, dass sie log. Ihre Gesichtshaut rötete sich leicht.
»Was weißt du über den Schießwütigen?«
»Nichts.« Sie schüttelte heftig den Kopf. Womöglich wusste sie wirklich nichts über ihn. Es passte auch nicht zu dem Eindruck, den Stachelmann von ihr gewonnen hatte.
»Das hat gar nichts mit unserer Aktion zu tun. Wir wollten nur zeigen, dass es dem Faschismus nützt, wenn Antifaschisten verleumdet werden. Das ist alles. Du musst nur mal im Internet auf die Seiten dieser so genannten Revisionisten gucken, da kapierst du gleich, dass du denen Munition lieferst, wenn du denen auch nur zu einem Tausendstel Recht gibst.«
»So ein Quatsch. Wenn man nicht die Wahrheit sagen darf, weil Nazis davon profitieren könnten, dann hilft man denen noch viel mehr. Bitte, das ist unter deinem Niveau.«
»Sei nicht so überheblich. Von wegen Wahrheit. Du leugnest ja nicht nur, dass Thälmann und andere Kommunisten Antifaschisten waren, du verfälschst auch andere Tatsachen.«
»Zum Beispiel?«
»Dass die Gefangenen von Buchenwald sich selbst befreit haben. Diese Revisionisten sagen, in dem Lager habe es doch einen Laden, ein Krankenrevier, eine Theatergruppe und sogar ein Bordell gegeben. Und die Kommunisten hätten dort fröhlich Parteitage abgehalten. So schlimm könne es ja nicht gewesen sein. Und wenn du leugnest, dass die Genossen sich aus eigener Kraft befreit haben, dann behauptest du ja, sie hätten sich fast gern im Lager einsperren lassen.«
»Du bist verrückt«, sagte Stachelmann. »Ich kenne jedes Buch und jede Quelle über Buchenwald. Es gab das Bordell, und es gab keine Selbstbefreiung. Und doch war Buchenwald ein Nazi-KZ, mit allem, was dazugehört. Mord und Totschlag zuerst, tödliche Ausbeutung, willkürliche Misshandlungen, das Totspritzen im Revier usw. usf. Mehr als fünfzigtausend Tote. Die historische Wahrheit ist zu kompliziert für Überzeugungstäter. Man muss die Wahrheit schreiben, selbst wenn man fürchten muss, dass Nazis oder andere Leute es für ihre Zwecke ausnutzen.«
»So, so, du kennst also die Wahrheit. Ich bin beeindruckt.«
Stachelmann winkte ab. Sie wich aus, klar. Dann setzte er nach: »Dieser in der DDR gefeierte Sturm aufs Tor im April 45 erfolgte erst, als die SS vor den Amis abgehauen war. Danach hat man ein paar SS-Männer, die sich in die Hose schissen, im Wald eingesammelt. Das waren die Gefangenen, die nach der angeblichen Selbstbefreiung den Amerikanern ausgeliefert wurden.«
»Warum musst du das in den Dreck ziehen? Gleich kommst du noch mit den roten Kapos.«
»Keine schlechte Idee«, sagte Stachelmann. Er grinste. »Aber das entzieht sich dem
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