Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
drei Glatzen hatten sich mittlerweile hinter dem Röhrenbunker »Subbühne« versteckt, zwei Hausnummern weiter. Er war 1995 entdeckt und restauriert worden und erinnerte nun an den Krieg und den Irrglauben der Nazis, in solchen Bunkern Bombenangriffe überleben zu können. Stachelmann stand nun vielleicht zweihundert Meter entfernt von den Glatzen und hoffte, sie würden nicht mitbekommen, dass er sie beobachtete. Gleichzeitig behielt er die Eingangstür der Thälmann-Gedenkstätte im Auge.
Ein Polizeiwagen fuhr, aus dem Süden kommend, die Tarpenbekstraße entlang. Stachelmann sah die beiden Beamten im Auto, sie interessierten sich nicht für ihre Umgebung, sondern unterhielten sich angeregt. Stachelmann überlegte, ob er an die Straße rennen und winken sollte, aber er unterließ es, er hätte den Wagen wahrscheinlich ohnehin nicht mehr erreicht.
Die Tür der Gedenkstätte öffnete sich, als gerade ein Sonnenstrahl die Regenwolken durchdrang. Der Strahl malte einen hellgelben Fleck auf den Bürgersteig, und darin stand nun Brigitte Stern. Die Glatzen tuschelten aufgeregt. Einer zeigte in Brigitte Sterns Richtung. Sein Mund formte Worte, Stachelmann glaubte, an den Lippen »Da ist sie« ablesen zu können. Brigitte Stern zögerte, schien nicht zu wissen, wohin sie gehen sollte, dann entschied sie sich, den Lokstedter Weg zurückzulaufen. Die Glatzen folgten ihr, Stachelmann hielt sich auf der anderen Straßenseite. Weder Brigitte Stern noch die Glatzen würden entdecken, dass er ihnen folgte. Dann sah er, wie die Glatzen den Abstand zu Brigitte Stern verkürzten. Sie gingen immer schneller. Jetzt waren es vielleicht hundertfünfzig Meter. Und er sah, wie auch sie anfing zu laufen. Aber die drei waren schneller. Einer überholte sie, ohne sie anzuschauen, die beiden anderen liefen dicht hinter ihr her. Stachelmann holte das Handy aus der Manteltasche und wählte wieder die 110.
»Die Glatzen wollen eine junge Frau schlagen, Lokstedter Weg«, dann drückte er die Gesprächstaste. Drüben hatte sich der Nazi umgedreht, der Brigitte Stern überholt hatte. Er stand nun direkt vor ihr, und als sie ausweichen wollte, boxte einer der beiden, die hinter ihr liefen, ihr in den Rücken. Sie stolperte, fing sich wieder und rannte los, vorbei an dem Typen vor ihr. Der griff nach ihr, erwischte sie am Anorak, Stachelmann hörte auf der anderen Straßenseite, wie der Anorak riss. Das war für ihn das Signal. »Hört auf!«, brüllte er und rannte hinüber. Ein Auto bremste quietschend. Stachelmann umkurvte die Kühlerhaube, deutete dem Fahrer hektisch an, er solle aussteigen und helfen. Aber der fuhr weiter, nachdem er ein paar Sekunden zugeschaut hatte, wie die Nazis Brigitte Stern zu Boden stießen. Einer trat ihr ins Gesicht. Sie schrie, dann rannte Stachelmann in die Nazis hinein. Die stieben zur Seite, starrten ihn an, und er brüllte »Polizei!«. Die Nazis schauten sich an, sie schienen verunsichert. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass sich jemand einmischen würde, und mit der Polizei wollten sie nichts zu tun haben. Sie hielten Stachelmann für einen Polizisten, obwohl der nur um Hilfe geschrieen hatte, und sie wichen aus. Erst langsam, dann begannen sie zu laufen, den Lokstedter Weg hoch in die Osterfeldstraße. Stachelmann schaute ihnen nach. Er lachte bitter, obwohl er Angst hatte. Die sind vor einem Rheumatiker abgehauen, dachte er. Die Nazis sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Zu dritt über ein Mädchen herfallen, das können sie. Aber wenn ein Mann sich einmischt und brüllt, dann hauen sie ab. Feiges Pack! Aber natürlich war es ihm so lieber. Da hörte er sie stöhnen. Sie lag zusammengekrümmt auf dem nassen Bürgersteig. Auf der Wange weitete sich ein roter Fleck. Stachelmann ging in die Hocke, die Knie schmerzten. Er reichte ihr die Hand. »Komm, ich bring dich nach Hause!«
Das Alarmsignal eines Polizeiwagens ertönte. Er kam vom Thälmannplatz und hielt mit quietschenden Reifen neben den beiden auf dem Bürgersteig. Zwei Beamte stiegen aus.
»Haben Sie die 110 angerufen?«
»Ja«, sagte Stachelmann. Er schaute den Beamten nur kurz an und wandte sich wieder Brigitte zu. Komischerweise fiel ihm erst jetzt auf, er hatte sie geduzt.
»Was ist passiert?«, fragte der Beamte. Seine Laune war schlecht.
Stachelmann antwortete nicht. Er fragte Brigitte: »Brauchen Sie einen Arzt?«
Sie blickte ihm neugierig in die Augen, als wollte sie fragen: Was bist du für einer? Sie nahm endlich seine Hand,
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