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Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Titel: Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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schon zugegeben, dass er ihr gefolgt war.
    Stachelmann gefielen ihre Sommersprossen. Und sie hatte braune Augen, große braune Augen, die ihn immer noch anschauten. Und außen an den Augen erkannte Stachelmann Fältchen, die verrieten, dass Brigitte gern lachte. »Du bist mir also gefolgt«, sagte sie. Sie schien es nicht begreifen zu wollen.
    »Das hatten wir schon.«
    »Ich gehöre zu den Bösen. Das glaubst du jedenfalls.«
    »Manchmal wird aus einem Bösen ein Guter.«
    »Manchmal wird aus einer Guten eine Böse.«
    »Und wie ist es in deinem Fall?«, fragte Stachelmann.
    »Ich gehöre immer zu den Guten. Und die Nazis zu den Bösen. Und jene, die den Nazis helfen, die gehören auch zu den Bösen.«
    »Du glaubst immer noch, man darf die Wahrheit nicht sagen, wenn sie angeblich den Nazis nutzt?«
    Wieder dieser Blick. Stachelmann las Verwirrung darin. Sie antwortete nicht.
    »Wenn man Wissenschaftler ist, muss man immer schreiben und sagen, was man herausgefunden hat, egal, wem es nutzt. Das unterscheidet einen Wissenschaftler von einem Ideologen oder einem Politiker, was am Ende das Gleiche ist. Ich dachte, das hätte ich im Seminar erklärt.«
    Sie kratzte sich über dem Pflaster an der Wange.
    »Tut's weh?«, fragte er.
    Sie nickte. »Du hast deine Meinung gesagt. Erklären, das klingt arrogant.«
    »Gut, ich habe meine Meinung gesagt. Könnte aber sein, dass ich der Dozent bin und deshalb dozieren darf.«
    Sie grinste kaum sichtbar. »Was du über Thälmann gesagt hast, ist Scheiße. Dozent hin, Dozent her. Was glaubst du, wie viele Dozenten oder sogar Professoren Unsinn verbreitet haben und noch verbreiten? Fast die ganze Garde der alten Historiker, dieser Halbgötter mit dem Staubgeruch, die haben den Nazis gedient. Als Dozenten. Vergessen?«
    Sie hatte Recht. Erst in den letzten Jahren tröpfelte die Wahrheit über manchen ehrwürdigen Kollegen der alten Historikergeneration, die sich in großer Zahl den Nazis angedient hatte.
    »Soll ich einen Arzt rufen?«
    »Weshalb? Weil ich deiner Meinung nach Unsinn rede?«
    Er lachte. »Das tust du zwar, aber ich fürchte, ein Arzt kann da nicht helfen.«
    Sie musste lachen, wieder gegen ihren Willen.
    »Ich muss jetzt«, sagte Stachelmann. Dabei hatte er nichts vor. Aber etwas zwang ihn weg von Brigitte. Er bildete sich ein, sie habe ihn traurig angeschaut, als er es gesagt hatte. Doch gestand er sich ein, er las es weniger in ihren Augen als in seiner Phantasie.
    Draußen überraschte ihn ein warmer Wind, der nach Meer schmeckte. Langsam ging er den Weg zurück in Richtung Thälmann-Platz. Die Schmerzen hatten sich zurückgezogen, natürlich konnten sie jeden Augenblick wiederkommen. Das Laufen tat ihm gut. Aber er war unzufrieden mit sich. Er hätte härter fragen, Brigitte in die Enge treiben müssen mit messerscharfen Fragen und Vorwürfen. Sie hatte etwas zu tun mit dem Wahnsinn, gut, nicht mit dem Irren, aber irgendwie hing die Schießerei zusammen mit der Kampagne. So etwas trifft nicht zufällig zusammen: die Schießerei, die Schmiererei, die postings in dem Internetforum. Und Brigitte hatte etwas damit zu tun. Warum hatte er sie nicht festgenagelt? Schließlich ging es um seinen Hals.
    Und warum fiel ihm jetzt Anne ein? Es war in der letzten Zeit nicht nur gut gewesen zwischen ihnen. Aber er wusste nicht, was es war. Gut, einmal hatte sie ihn angeschrien, ihm vorgeworfen, über seinem Kram zu vergessen, dass auch sie etwas zu tun hatte außer der Kindererziehung, nämlich eine Doktorarbeit zu schreiben. Hatte er nicht versprochen, ihr zu helfen? Den Text Korrektur zu lesen? Aber als er hätte anfangen können, hatte sie kein Wort davon gesagt. War es seine Schuld? Hätte er daran denken müssen? Nein, sie wusste doch am besten, wann er helfen konnte. Warum hatte sie geschwiegen? Weil sie gespürt hatte, dass er im Kopf woanders war, sich nicht für ihre Dinge interessierte. Er sei ein Egomane. Schlimmster Sorte, weil er so hilfsbereit tue und so altruistisch, weshalb sie schon längst glaube, dass er ein Heuchler sei. Wenn es darauf ankomme, versage er, nicht nur bei seinen Aufgaben, sondern auch, wenn es darum gehe, Versprechen zu halten.
    Dann hatten sie lange nichts mehr gesagt, jedenfalls nichts mehr von Belang. Manchmal wäre es ihm lieber gewesen, sie hätte geschimpft, als nur dieses Alltagsgebrabbel übers Essen, das Wetter, Felix und so weiter. Hin und wieder drängte sich ihm die Idee auf, sie würde ihn rausschmeißen. Dann schaute sie ihn

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