Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
suchen, Herr Hauptkommissar!«
»Übrigens bin ich inzwischen Kriminalrat.«
»Glückwunsch«, sagte Stachelmann. »Suchen Sie Frau Stern, bitte. Was gibt es Neues von dem Schützen?«
»Nichts«, sagte Taut. »Gar nichts. Lesen Sie keine Zeitung?«
»Heute nicht.«
»Im Abendblatt wird behauptet, Hamburg versinke in einem Pfuhl des Verbrechens, und die Kripo würde dazu beitragen, indem die Kriminalbeamten in der Dienstzeit untätig ihre Pensionsansprüche berechneten oder Fußballtoto spielten, während Mord und Totschlag herrschten und sich keine Oma mehr aus dem Haus wage.«
»Geschreibsel.«
»Ja, aber wirksam. Die Menschen trauen anderen nur zu, was sie sich selbst zutrauen. Also faul herumsitzen und den Goldesel scheißen lassen.«
»Haben Sie neue Spuren gefunden?«
»Ich sage doch, nichts.« Er wurde noch ungeduldiger.
»Und warum wurde mein Polizeischutz abgezogen?«
»Wurde er nicht. Er wurde nur auf unsichtbar umgestellt.«
Stachelmann war unheimlich zumute. Sie überwachten ihn, er war ihr Köder.
»Außerdem sagt unser Psycho, der Typ habe alles erreicht und werde nicht mehr schießen.«
»Und das sagt der, obwohl Sie keine Spur haben.«
»Na, der hat sich aufs Dach dieser Fakultät gestellt und die Lage betrachtet. Dann hat er ein bisschen nachgedacht, wohl auch schlaue Bücher gewälzt und den Wetterbericht für den Tag analysiert. Nehme ich zumindest an. Ich beneide diese Leute.«
Stachelmann hätte fast losgelacht.
Nach dem Telefonat stellte er sich ans Fenster und starrte auf die WiSo-Fakultät. Er bildete sich einen Augenblick ein, er könne dort oben etwas finden, nach dem er noch nicht gesucht hatte, das aber wichtig wäre. Oder war es der Blick von oben, der einem zeigen konnte, was in dem Täter vor sich ging, welches Motiv er hatte? Wenn so ein Psychologe aus nichts Schlussfolgerungen zog, dann konnte er vielleicht aus einem bisschen die große Erkenntnis herauslesen. Er schüttelte den Kopf, nun schnapp nicht über. Lächerlich.
Wieder versuchte er Bohming zu erreichen. Diesmal nahm er ab. Er hatte Zeit für Stachelmann, und der fand es lächerlich, dass er nervös war.
»Ja, Josef, das ist ja eine schlimme Sache. Kannst du dir das erklären?«, fragte Bohming, als Stachelmann sich vor dessen Schreibtisch gesetzt hatte. Den Professor schien es nicht sonderlich zu interessieren, was Stachelmann von ihm wollte. Er hatte sich in den letzten Tagen auch nicht gemeldet bei seinem Mitarbeiter, wie es eigentlich zu erwarten gewesen wäre bei einem fürsorglichen Chef, der Bohming ja sein wollte.
»Nein, auch die Polizei steht im Regen.«
»Das tut die ja in letzter Zeit gern. Hast du das Abendblatt gelesen?«
»Nein, ich werde es mir nachher besorgen.«
Bohming winkte fast unmerklich ab. »Na ja, die übertreiben, wie alle Zeitungen.«
»Ich würde ganz gern erfahren, wie es zu dieser Schießerei und der Kampagne gegen mich gekommen ist.« Er hatte es immer noch nicht gelernt, die Schmierereien im Philosophenturm zu übersehen. Und niemand hatte daran gedacht, sie zu beseitigen.
»Und da fragst du mich?« Die Augen blickten streng, die Stimme verlor ihren jovialen Unterton.
»Bitte versteh mich nicht falsch, du hast natürlich nichts damit zu tun. Aber ich will die Sache von Anfang an recherchieren, wie ein Historiker. Ich verstehe Dinge ohnehin nur, wenn ich sie chronologisch studiere. Anders gesagt, da gibt es eine Ereigniskette, ich suche das erste Glied.«
Bohming nickte, das Lächeln kehrte zurück in sein Gesicht. »Aber warum überlässt du das nicht der Polizei?«
»Die haben bisher nichts gefunden, sieht man von Spekulationen eines Psychologen ab, den der Kriminalrat Taut, der Leiter der Mordkommission« – Bohming nickte, um zu zeigen, dass er keine Erläuterung brauche, da er Taut kenne –, »selbst nicht richtig ernst nimmt.«
»Du weißt, ich stehe immer hinter dir. Habe dir den Rücken freigehalten, als es mit der Arbeit ein bisschen länger dauerte. Habe mich für die Verlängerung deines Vertrags eingesetzt und dich auch nicht fallen gelassen, als du im Gefängnis gesessen hast.«
Stachelmann dachte: Du hättest mich fallen gelassen, wenn Anne dich nicht bearbeitet hätte. Wegen ihr hast du es getan, nicht wegen mir. Aber er sagte: »Gewiss.«
Bohming stutzte, die Antwort war kurz und überraschte ihn. Wahrscheinlich hatte er eine Dankeshymne erwartet, so, wie er sich selbst in seinen Tagträumen pries. Der Ordinarius schaute in seinem Zimmer umher,
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