Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
die Nächstenliebe für den Fixpunkt seines Daseins. Stachelmann konnte nicht anders, als Bohming dafür zu bewundern. Und auch, wie der es seit Jahren schaffte, fast nichts mehr zu tun und doch jeden Monat das Ordinariusgehalt einzustreichen, irgendwie hatte das Grandezza.
Von seinem Büro aus rief er gleich Schmid an. Eine Frau nahm ab, und als Stachelmann bat, ihn mit Schmid zu verbinden, musste sie offenbar erst einmal lange Rücksprache mit dem Verlagschef halten, während Stachelmann eine ihm nicht bekannte, aber nervige Pausenmelodie serviert bekam.
»Schmid, guten Tag, Herr Dr. Stachelmann. Ich nehme an, Sie haben unseren Vertragsentwurf erhalten.«
Schmid wusste so gut wie Stachelmann, der Entwurf lag schon eine Weile herum, aber Stachelmann hatte ihn nicht unterschrieben. Vielleicht konnte er Schmid damit ködern?
»Ja, danke. Ich bin noch nicht dazu gekommen. Sie wissen ja, wie das ist.«
»Natürlich, Herr Dr. Stachelmann, ein vielbeschäftigter Wissenschaftler, das weiß ich doch. Aber wenn Sie demnächst einmal Zeit fänden ...«
Wie würde Schmid sich verhalten, wenn Stachelmann nichts zu bieten hätte? Er kannte den Verlagschef nur als jemanden, der etwas von ihm wollte. Wie sähe es aus, wenn es andersherum wäre? Stachelmann konnte sich das gut vorstellen. Der Mann würde ihm die kalte Schulter zeigen, darauf hätte Stachelmann gewettet. Also musste er Schmid noch ein wenig zappeln lassen. Wenn alles vorbei war und Schmid um einen Vertrag bäte, dann würde Stachelmann sich revanchieren. Lieber im Eigenverlag als bei Schmid. Der Tag wird kommen. Er freute sich schon.
»Es wäre schön, Sie fänden bald Zeit für mich«, erwiderte Stachelmann.
»Aber Herr Dr. Stachelmann, selbstverständlich habe ich Zeit für Sie. Sie haben gewiss auch noch Fragen zum Auflösungsvertrag.«
»Dann könnte ich mich ja jetzt in ein Taxi setzen und Sie besuchen?«
»Aber gerne doch, Herr Dr. Stachelmann. Ich freue mich ja immer, Sie zu sehen.«
Stachelmann verabschiedete sich knapp, telefonierte nach einem Taxi und ließ sich ans Elbufer fahren, wo der Verlag in einer Jugendstilvilla residierte.
Der Taxifahrer pfiff leise, als er das Haus sah, während Stachelmann zahlte. Er ließ sich eine Quittung geben, um wenigstens die Hinfahrt Schmid bezahlen zu lassen. Aus Prinzip, bei diesem Herrn.
Im Vorzimmer dämpfte ein dicker Teppichboden die Tritte, an den Fenstern Vorhänge aus schwerem Stoff, die Tür zum Chefzimmer dunkel gebeizt mit Messingknauf. Hinter einem mächtigen Schreibtisch saß eine zierliche junge Frau im Hosenanzug, deren Gesicht Unnahbarkeit ausstrahlte. Sie passte in diese Umgebung. »Sie sind der Herr Dr. Stachelmann?«, sagte sie mit dunkler Stimme, und Stachelmann gefiel, wie sie seinen Namen aussprach. Die Frau musste eine Klingel betätigt haben oder Schmid einen Riecher für Gäste besitzen, jedenfalls stürzte er aus seinem Zimmer mit ausgestreckter Hand auf Stachelmann zu, als wäre dieser der verlorene Sohn, der endlich zum Vater zurückkehrte. Stachelmann reichte Schmid die Hand, als dieser dicht vor ihm stand und sein Mundwasser riechen ließ.
»Gut, dass Sie Zeit gefunden haben«, sagte Schmid. Sogar seine Vorzimmerfee lächelte, auch wenn es aufgesetzt aussah.
»Kommen Sie, bitte, kommen Sie«, sagte Schmid und zeigte in sein Zimmer, das Stachelmann riesig erschien, in einer Ecke ein Schreibtisch, auch auf antik getrimmt oder wirklich alt, an den Wänden moderne Kunst quasi als Kontrast zur verschnörkelten Inneneinrichtung.
In der gegenüberliegenden Ecke stand eine Sitzgarnitur, alle Möbel schwer und teuer. Schmid wies auf einen Sessel. Stachelmann setzte sich. Die Sekretärin stand in der Tür, und Schmid fragte: »Einen Kaffee? Vielleicht einen Cognac? Wasser? Saft?«
»Ein Wasser bitte«, sagte Stachelmann. Nein, mit diesem Herrn würde er keinen Cognac trinken.
Die Fee schwebte nach wenigen Sekunden mit einem Tablett herein, darauf eine Flasche und zwei Gläser. »Wenn Sie noch einen Wunsch haben ...«
Stachelmann nickte freundlich. Es lag ihm auf der Zunge zu sagen, er habe viele Wünsche, aber keinen könne sie oder ihr Chef ihm erfüllen.
»Gut, Herr Dr. Stachelmann ... Sie haben bestimmt den Vertrag dabei und wollen darüber sprechen. Stimmt's?« Er tat so, als wollte er es Stachelmann leichter machen, den Auflösungsvertrag zu bemängeln.
»Nein, der Vertrag liegt in meinem Büro oder zu Hause. Darum geht es mir nicht.« Er sah den kurzen Anflug von Ärger in
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