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Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Titel: Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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sich an Felix gewöhnen zu können, zumal der nicht mehr so viel schrie.
    Dann trat er schnell vom Fenster zurück, zog den Vorhang zu und linste durch einen seitlichen Spalt hinaus. »Da war etwas, in dem Haus gegenüber.«
    »Wo der Gemüseladen ist?«
    »Ja. Ich habe es deutlich gesehen.«
    Anne stellte sich neben ihn, zog die Vorhänge auf. Er spürte, wie die Angst ihn lähmte. »Pass auf!«, sagte er leise, als dürfte es niemand hören außer Anne.
    »Du meinst im dritten Stock«, sagte Anne.
    »Ja.«
    »Da ist jemand mit einem Staubsauger zugange. Sonst sehe ich nichts.«
    Stachelmann zögerte, dann sagte er: »Sicher?«
    »Ja.«
    »Hm.«
    »Es ist normal, dass du jetzt überall diesen Irren vermutest. Versuch zu arbeiten. Vielleicht solltest du tatsächlich eine Therapie machen, Verfolgungswahn ist bestimmt heilbar.«
    Da packte ihn der Zorn. »Du glaubst mir nicht. Du hast vergessen, dass mich schon mehrfach Leute bedroht haben. Einmal wurde ich auf die U-Bahn-Gleise gestoßen, dann sollte ich im Krankenhaus ermordet werden, dann ist dieser Wahnsinnige in meine Wohnung eingebrochen, um CDs aufzulegen, damit ich auch wirklich merkte, dass er eingebrochen ist. Nicht zu vergessen, erinnerst du dich nicht mehr an die Leiche, die diese Leute mir in den Kofferraum gelegt haben? Und dann sollte ich sogar vergiftet werden! Alles schon vergessen?«
    Sie schaute ihn traurig an, drehte sich weg und ging hinaus.
    »Und dann einfach das Gespräch abbrechen, wenn es anders läuft als erwünscht. Toll!«, rief er ihr hinterher.
    Er bereute gleich seinen Ausbruch, aber entschuldigen wollte er sich nicht. Er packte den Laptop in seine Aktentasche und verließ die Wohnung. Erst wollte er die Tür zuknallen, dann aber drückte er sie leise ins Schloss. Er lief auf der Grindelallee zur Bahn, um den Von-Melle-Park zu umgehen. Obwohl das der sicherste Ort der Welt war; der Schütze würde dort kein zweites Mal zu schießen wagen, zumindest jetzt nicht, wo es an der Uni von Polizei wimmelte. Würde Stachelmann den Von-Melle-Park und den Philosophenturm jemals wieder betreten können? Ich muss hier weg, dachte er. Nichts wie weg. Du wirst verrückt, wenn du den Anschlag nicht verdrängen kannst. Aber wie soll man ihn verdrängen, wenn man fast jeden Werktag dort ist, wo geschossen wurde? So würde er die Bilder nicht aus dem Kopf treiben können. Du musst weg.
    Stachelmann schwitzte, er war schnell gelaufen, die Angst machte ihm Beine. Im Dammtorbahnhof hechelte er, der Schweiß nässte das Hemd, die Haare klebten an der Kopfhaut. In der S-Bahn setzte er sich ans Wagenende, um alles überblicken zu können. Im Hauptbahnhof rannte er zum Gleis 7b, der Zug nach Lübeck wartete schon. Er betrat das Großraumabteil der ersten Klasse, hängte den Mantel an einen Haken der Garderobe, schnaufte und setzte sich an den Tisch. Drei Männer waren ins Gespräch vertieft, Stachelmann kannte ihre Gesichter von vielen Bahnfahrten zwischen Hamburg und Lübeck. Wäre er allein gewesen, hätte er mehr Angst gehabt. Er lehnte sich zurück, schloss die Augen und mühte sich zu begreifen, was geschehen war. Sein Leben hatte sich geändert binnen kürzester Zeit. Er würde es nicht mehr aushalten in Hamburg. Er war endlich so gut wie habilitiert und konnte sich an einer anderen Universität bewerben. Vielleicht in Heidelberg? Nein, da hatte er zu viel Unerfreuliches erlebt. Irgendwo hatte er gehört, man solle nicht zurückkehren zu früheren Lebensstationen. Berlin? Ja, warum eigentlich nicht Berlin? Aber dann schalt er sich einen Spinner. Du kannst froh sein, wenn du überhaupt eine Stelle bekommst. Die Wahrscheinlichkeit, einen Lehrstuhl zu ergattern, lag bestenfalls bei eins zu tausend.
    Die Türen knallten zu, es ruckelte, der Zug schlich aus dem Hauptbahnhof. Kaum hatte er die Halle verlassen, tanzten Schneeflocken im Fahrtwind. Er schaute hinaus auf die S-Bahnhöfe, die der Zug passierte. Am frühen Nachmittag war es grau, der Schnee verwandelte sich in Matsch. Auch die Menschen erschienen ihm grau.
    In Lübeck stieg er aus. Er eilte die provisorische Stahltreppe am Bahnsteig hinauf in die ebenso provisorische Bahnhofshalle. Oben drehte er sich um und betrachtete die Menschen, die ihm folgten. Niemand beachtete ihn, und keiner fiel ihm auf. Aber wenn der Irre seine Adresse kannte und schon am Haus wartete? Sein erster Impuls war, in den Zug zu steigen und nach Hamburg zurückzufahren. Vielleicht konnte er bei seiner Mutter in Reinbek

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